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Archiv-Artikel

Willenskraft und Eigensinn

ANEKDOTISCHE FILMBIOGRAFIE Martin Provosts „Séraphine“ erzählt von der naiven Malerin Séraphine Louis

Eine Anekdote, ein Detail sagt mehr über eine Person als alle Daten des Lebenslaufs. Martin Provost verfilmt deshalb nicht den Lebensweg von Séraphine Louis, sondern einzelne Etappen aus ihrem Leben – von der Entdeckung der Malerin naiver Kunst durch den Kunsthändler Wilhelm Uhde bis zu ihrem Tod im Irrenhaus.

Séraphine (Yolande Moreau) ist Haushälterin und von den Widrigkeiten des Landlebens zäh geworden. Mit Frömmig- und Hartnäckigkeit spart sie sich das Geld für Farben und Pinsel zusammen, um nachts in einer Art religiösem Trancezustand zu malen. Séraphine Louis begann ihre künstlerische Karriere nach einer göttlichen Eingebung. Ihr Gegenpart ist Wilhelm Uhde (Ulrich Tukur), ihr Entdecker und ein Klischee: jüdisch, bemittelt, Kunstsammler, homosexuell.

Sie treffen 1912 in Senlis, einem Dorf nahe Paris, aufeinander. Uhde zieht sich dorthin zurück, um zu schreiben, und Séraphine arbeitet als Haushälterin in der Wohnung, die der Sammler bezieht. Fast zwangsläufig bemerkt er, der auch Picasso entdeckte, Séraphines malerisches Talent.

Yolande Moreau, die für ihre Darstellung der Séraphine den französischen Filmpreis César erhielt, trägt diesen Film fast allein. Ihre Séraphine ist sehr präsent. Sie strahlt die ganze Willenskraft und den künstlerischen Eigensinn aus, den die Haushälterin aufbringt, um als Künstlerin zu überleben.

Das funktioniert – auch weil die Kameraführung Moreau den für ihre Darbietung angemessenen Platz lässt. Immer mit der nötigen Distanz nähert sie sich Séraphine, gibt ihr Spielraum, wo sie ihn braucht. Séraphine soll nicht verstanden, sondern beobachtet werden, deshalb die anekdotische Erzählweise. In dieser Hinsicht ähnelt „Séraphine“ Julian Schnabels „Basquiat“: Beide Filme gewinnen ihren Hauptfiguren eine mythische Qualität ab, indem sie deren Leben nicht zu einem Ganzen fügen wollen, sondern kurze Lebensausschnitte erzählen.

Deshalb wirkt die Darstellung von Wilhelm Uhdes inneren Kämpfen um seine Homosexualität und seine Flucht vor den Nazis bruchstückhaft. Seine Geschichte bildet kein Gegengewicht zu Séraphines Leben. Darum geht es allerdings auch gar nicht – schließlich heißt der Film nicht umsonst „Séraphine“.

ELIAS KREUZMAIR

■ „Séraphine“. Regie: Martin Provost. Mit Yolande Moreau, Ulrich Tukur u. a. Frankreich/ Belgien 2008, 125 Min.