Kolumne Das Schlagloch: Im Schatten der Solarpanele

Die deutsche Klimapolitik geht fehl. Nur mit ökonomischer Logik lässt sich die Welt retten.

Wir sind ein Volk der Schnäppchenjäger. Der Erfolg von Discountern wie Aldi, Lidl oder Netto belegt: Der Konsument zwischen Flensburg und Passau schaut auf den Preis. So sehr, dass Elektronikmärkte mit einer Geld-zurück-Garantie werben: "Finden sie den gleichen Artikel innerhalb von 14 Tagen bei der Konkurrenz günstiger, dann erhalten Sie den Kaufpreis erstattet!" Die Logik dieses Versprechens leuchtet ein. Kein rationaler Mensch ist bereit, für das gleiche Produkt einen deutlich höheren Preis zu zahlen. Oder doch?

Vom Kostenbewusstsein, dass wir beim Kauf von DVD-Spielern oder Flachbildfernsehern unter Beweis stellen, sind wir als Staatsbürger weit entfernt. Gerade bei der wichtigsten Herausforderung unserer Zeit, dem Kampf gegen den Klimawandel, zeichnet sich Deutschland durch eine groteske Ignoranz der Frage "Was kostet es?" aus. Die Missachtung dieser Preisfrage kommt oft mit dem Gestus moralischer Überlegenheit daher: Wie kann man, wo es doch um die Zukunft unserer Kinder geht, nach den Kosten fragen?

Man kann nicht nur, man muss. Gerade weil das Klimaproblem so eine zentrale Bedeutung hat, muss Klimaschutz zu minimalen Kosten erfolgen. An der ökonomischen Logik, am Primat der Kosteneffizienz, führt bei einer rationalen Klimapolitik kein Weg vorbei. Joachim Weimann, Finanzwissenschaftler und Umweltökonom an der Universität Magdeburg, bringt es auf den Punkt: "Klimaschutz muss so organisiert werden, dass jeder investierte Euro so viel Kohlendioxid wie möglich einspart." Gemessen an diesem Prinzip fällt sein Fazit - wie bereits der Titel seines aktuellen Buches "Die Klimapolitik-Katastrophe" vorwegnimmt - vernichtend aus: "Wir betreiben jede Menge Klimaschutzmaßnahmen und mit fast allem, was wir in dieser Hinsicht tun, kaufen wir die CO2-Reduktionen zu teuer ein."

Warum und auf welche Weise kauft Deutschland die Vermeidung von Kohlendioxid-Emissionen zu teuer ein? Die Kosten für die Vermeidung einer zusätzlichen Tonne an Kohlendioxid-Emissionen schwanken in der Industrie erheblich, insbesondere zwischen unterschiedlichen Technologien der Stromerzeugung. Der im Jahr 2005 auf europäischer Ebene gestartete Emissionshandel nutzt diese Unterschiede klug aus: Wer zu geringen Kosten seine CO2-Emissionen reduzieren kann, der tätigt die entsprechende Investition in bessere Technik - die nicht mehr benötigten Zertifikate verkauft er dann. Wer seine Emissionen nur zu hohen Kosten reduzieren kann und mit den Verschmutzungsrechten, die ihm zugeteilt wurden, nicht auskommt, der kauft dagegen zusätzliche Zertifikate ein. Auf diese Weise sichert der Emissionshandel einen Innovationswettbewerb, um die besten Technologien zur CO2-Vermeidung und ihren effizienten Einsatz.

Für die Politik bleiben nur drei Aufgaben: Erstens die Gesamtemissionsmenge festzulegen und im Zeitablauf regelmäßig zu senken. Zweitens darüber zu wachen, dass niemand mehr CO2 emittiert, als es seine Zertifikate erlauben. Und drittens, hier liegt die Herausforderung, das System auf alle Branchen und alle Länder auszuweiten.

In seinem Selbstverständnis als ökologischer Klassenprimus schießt Deutschland leider über das Ziel hinaus. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurden Windkraft und Sonnenenergie zu künstlich geschaffenen Boombranchen aufgebaut. Doch die angestrebte CO2-Vermeidung mit Windrädern und Solarpanelen ist extrem teuer. Die sogenannten Grenzvermeidungskosten, die bei der Einsparung einer zusätzlichen Tonne Kohlendioxid anfallen, liegen im konventionellen Kraftwerksbereich derzeit bei unter 30 Euro pro Tonne, bei der Windkraft zwischen 95 und 168 Euro, bei der Photovoltaik gar zwischen 670 und 1.180 Euro. Würden wir beim Klimaschutz so rational wie beim Kauf eines Fernsehers agieren, Wind und Sonne hätten keine Chance.

Dies ist das erste Paradox der deutschen Klimapolitik: Wir wissen um die Herausforderung - trotzdem entscheiden wir uns dafür, parallel auf das richtige Instrument des Emissionshandels und auf die falschen Anreize des EEG zu setzen. Besonders tragisch ist dabei, dass der mit Windrädern und Solarpanelen erzeugte Strom die Emissionen überhaupt nicht reduziert. Sinkt die Produktion eines konventionellen Stromerzeugers aufgrund des mit Subventionen künstlich gesteigerten Marktanteils der erneuerbaren Energien, dann wird er seine Verschmutzungsrechte, die er nun nicht mehr braucht, verkaufen. Der fossile Brennstoff wird dann halt woanders verbrannt, die Emissionen entstehen in jedem Fall.

Auch das zweite Paradox der Klimapolitik resultiert daraus, das Marktprozesse nur unvollständig verstanden werden. Hans-Werner Sinn hat es auf der Jahrestagung 2007 des Vereins für Socialpolitik erstmals ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Bisher verfolgen national wie international alle beschlossenen Maßnahmen das Ziel, die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu drosseln. Die verbrannte Menge an Kohle, Öl und Gas wird aber nicht von der Nachfrage allein bestimmt. Eine wirksame Klimaschutzpolitik muss daher auch das Angebot der Förderländer beschränken. Tut sie das nicht, drückt die reduzierte Nachfrage der zum Klimaschutz entschlossenen Nationen lediglich den Preis der fossilen Brennstoffe. Entwicklungs- und Schwellenländern erlaubt das, kostengünstig ihren Verbrauch zu erhöhen. Emissionen werden so erneut nur verschoben, nicht aber vermieden. Dass die steigende Kurve der weltweiten Kohlendioxidemissionen nicht einmal eine Delle aufweist, obwohl bereits 1997 das Kioto-Protokoll in Kraft getreten ist, liegt an diesem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.

Beide Paradoxien zusammen ergeben ein düsteres Bild: Erstens betreibt Deutschland eine ineffiziente Klimaschutzpolitik und verschwendet dabei Milliarden. Zweitens bleibt eine kosteneffiziente Politik ohne Aussicht auf wirklichen Erfolg, so lange sie allein auf die Drosselung der Kohlenstoffnachfrage gerichtet ist. Die Konsequenz? Gerade weil Deutschland den Klimawandel nicht im Alleingang abwenden kann, sollte die nächste Bundesregierung zumindest der nationalen Katastrophe, die ihre Klimapolitik darstellt, ein Ende setzen. Das ist ein Gebot nicht nur der ökonomischen Vernunft, sondern auch der ethischen Verantwortung. Sollte es einer Koalition williger Nationen nämlich nicht gelingen, den Klimawandel zu stoppen oder zumindest deutlich zu verlangsamen, dann werden wir uns schon bald mit großen Investitionen vor seinen Folgen schützen müssen. Jeder Euro, der heute verschwendet wird, fehlt dann uns oder unseren Kindern.

Wir sollten daher unser staatsbürgerliches Kostenbewusstsein entdecken - das heißt, von der Politik den gleichen Service wie vom Elektronikmarkt zu erwarten. Vielleicht findet sich ja schon in einem Parteiprogramm zur nächsten Bundestagswahl das Versprechen: "Wenn sie die gleiche Menge CO2-Reduktion woanders günstiger kaufen können, erhalten sie vom Finanzminister ihre EEG-Steuer zurück."

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