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Archiv-Artikel

„So kann man den Wachstumstrend nicht erhöhen“

Der Kieler Konjunkturforscher Joachim Scheide kritisiert das ökonomische Programm der großen Koalition: „Der private Verbrauch bricht ein“

taz: Die große Koalition sagt, dass sie 2006 einen starken Anschub für die Wirtschaft organisiert. Stimmt das?

Joachim Scheide: Nein. Unterstellen wir einmal, der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hätte Recht und die Konsumenten würden gegen Ende 2006 viel mehr einkaufen als heute. Sie würden ihre Nachfrage vorziehen, weil ja ab Januar 2007 durch die höhere Mehrwertsteuer alles teurer wird. Was passiert dann 2007? Der private Verbrauch wird einbrechen, und in der Summe wäre der Effekt negativ. Mit Steuererhöhungen kann man die Wirtschaft nicht ankurbeln. Ich kann nicht glauben, dass das ernst gemeint war, denn mit Ökonomie hat es nichts zu tun.

Die Koalition will immerhin 25 Milliarden Euro aufwenden, um Steuern zu senken und Investitionen zu unterstützen.

Erstens wird diese Summe über mehrere Jahre verteilt. Zweitens werden die Steuern insgesamt ja erhöht und nicht gesenkt. Und drittens steht dahinter die alte keynesianische Vorstellung, der Staat könne die Konjunktur mit neuen Krediten aufpäppeln. Diese Idee von einer Initialzündung ist längst überholt.

Die massive Verschuldung soll es ja nur 2006 geben. Was halten Sie von den Konsolidierungs- und Sparbemühungen, die ab 2007 folgen?

Mit einer echten Konsolidierung hat das nichts zu tun, denn es werden die Steuern erhöht. Und das wirkt sich negativ auf die Beschäftigung aus, weil beispielsweise die Unternehmen weniger Arbeitskräfte nachfragen. Aus heutiger Sicht wird das Wachstum 2007 nicht über ein Prozent steigen, wenn uns das Ausland nicht massiv hilft. Ich glaube, man wird keine vier Jahre brauchen, um zu sehen, dass das Regierungsprogramm Wachstum und Beschäftigung nicht fördert.

Union und SPD haben auch verabredet, zu sparen, um Geld für Zukunftsaufgaben frei zu machen. Bis 2007 will man immerhin Ausgaben von zehn Milliarden Euro kürzen und fünf Milliarden an Steuersubventionen beseitigen. Reicht das nicht?

Natürlich nicht. Roland Koch und der künftige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) haben 2003 eine Liste von Subventionen und Finanzhilfen in Höhe von 70 Milliarden Euro ausgearbeitet, die als unstrittig gelten. Das war eine gute Idee. Doch warum hat man nicht Ernst gemacht und diese Summe über fünf Jahre verteilt gestrichen?

Wo würden Sie außerdem sparen?

Alle Staatsausgaben gehören auf den Prüfstand. Der Staatsanteil ist in Deutschland mit knapp 50 Prozent zu hoch. Zum Beispiel müsste man im Personalbereich, bei den Sozialausgaben und den Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik sparen. INTERVIEW: HANNES KOCH