Neues Buch zur Staatstheorie: Kommunismus als Opium

Westliche Intellektuelle von Walter Benjamin bis André Gide waren verzaubert vom sowjetischen Kommunismus. Der Philosoph Michail Ryklin fragt nach den Gründen.

Zweimal Gott? Bild: ap

Von der "Wiederkehr der Religionen" ist oft die Rede. Schon der Blick in eine gut sortierte Buchhandlung lehrt, dass diese Wiederkehr zumindest auf dem Buchmarkt bereits angekommen ist. Dutzende von Einführungen und Darstellungen sind momentan erhältlich.

Die Gründe für den Boom sind vielfältig. Sie reichen von der Instrumentalisierung von Religionen für politische Zwecke bis zur Nutzbarmachung geschäftsorientierter Ersatzreligionen und vulgäratheistischer Pamphlete im Stil des Biologen Richard Dawkins ("Der Gotteswahn").

Die Wiederkehr der Religionen in seriösen Diskursen hat aber auch mit einem Grundzug von Religion zu tun, den der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf als "Autoritätssuggestion" bezeichnete. Vom rational begründeten Gottvertrauen ist es oft nur ein kleiner Schritt zur fanatischen Autoritätsverherrlichung. Insofern ist die religiöse Sprache "der möglicherweise gefährlichste Mentalstoff", so Graf. Aufklärung über Religionen ist also ein Gebot der Stunde.

Von herausragendem Anspruch ist in diesem Zusammenhang das im letzten Herbst gestartete Vorhaben des Suhrkamp Verlags. Seinem Tochterunternehmen, dem Verlag der Weltreligionen, geht es nicht um das Aufspringen auf einen fahrenden Zug, sondern um ein wissenschaftlich fundiertes Projekt. Dafür sorgt der Beirat, in dem bekannte Gelehrte wie Jan Assmann, Klaus Berger, Wolfgang Frühwald und Ulrich Beck vertreten sind sowie einige nur Fachleuten geläufige Spezialisten für Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Islam, Religionssoziologie, Konfuzianismus etc. Das Programm sieht wissenschaftliche Quelleneditionen auf höchstem Niveau, Einführungen, Essays und günstige Taschenbuchausgaben von Quellentexten vor, richtet sich also nicht nur an Fachleute, sondern an alle am interreligiösen Dialog Interessierte.

Gleich am Anfang stand eine editorische Meisterleistung. Der Kölner Islamwissenschaftler Marco Schöller brachte eine Übersetzung und einen umfangreichen Kommentar der neben dem Koran wichtigsten Quelle für islamisches Recht und islamische Ethik heraus: Al-Nawawis "Das Buch der vierzig Hadithe" aus dem 13. Jahrhundert. Die Fachwelt begrüßte die Edition ebenso überschwänglich wie die sachkundigen Kommentare des Herausgebers.

Als erste Publikation in der Essayreihe erschien jetzt der Band des russischen Philosophen Michail Ryklin. Unter dem Titel "Kommunismus als Religion" bietet Ryklin ein Dutzend Essays, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die von erklärten Atheisten angeführte Oktoberrevolution von 1917 schon nach kurzer Zeit unübersehbar religiöse Züge annahm. Bertrand Russell etwa stimmte mit den Zielen der Revolutionäre überein, kritisierte aber deren Gewalttätigkeit und deren Orientierung an Glaubenssätzen, unumstößlichen Dogmen und angeblichen historischen Gesetzmäßigkeiten: "Wer dem Bolschewismus zustimmt, wird unzugänglich für wissenschaftlichen Beweis und begeht intellektuellen Selbstmord."

Häufiger als solche harsche Kritik war freilich die für Tatsachen blinde Bewunderung westlicher Intellektueller für die Oktoberrevolution, wie Ryklin zeigt: In den 20er- und 30er-Jahren entstand ein "religiös-prophetisches Genre" von Reiseliteratur, in der Intellektuelle die Sowjetunion als Projektionsfläche ihrer eigenen Wünsche und Erwartungen benützten. Walter Benjamin, Alfred Kerr, André Gide, Arthur Koestler, Lion Feuchtwanger, George Bernard Shaw, Joseph Roth und viele weniger bekannte Autoren bedienten das Genre mit Texten, die zwischen blinder Affirmation und totaler Negation schwankten.

André Gide betrat das Land mit der Erwartung, "der Geburt der Zukunft beizuwohnen", und wurde bitter enttäuscht. Der Kommunist Arthur Koestler diagnostizierte nach der Rückkehr aus der Sowjetunion, dort würden im Namen des Glaubens "störrische Tatsachen" beseitigt. Einige fuhren als überzeugte Sozialisten hin und kehrten als entschiedene Kritiker des Bolschewismus zurück, einige bürgerliche Journalisten wie Alfons Paquet wurden wiederum zu Anhängern des Kommunismus.

Am intensivsten hat sich Jacques Derrida mit dem Genre der Reiseliteratur beschäftigt, das über weite Strecken nicht reale Prozesse beschrieb, sondern ein "Sein im Werden" wortreich beschwor. Der Bolschewismus installierte als neues Basisdogma die historische Notwendigkeit, der die Politik zu folgen habe, die so zu einem neuen Glauben wurde. Derrida sieht dies als Rückfall hinter die Theorie von Karl Marx, der eine religiöse Haltung zur Welt dadurch entbehrlich machen wollte, dass die Welt im Namen eines universellen Gleichheits- und Gerechtigkeitsversprechens verbessert werden sollte. Dieser "Messianismus ohne Religion" (Derrida) siedelte Gerechtigkeit jenseits von Recht und Rache, aber auch jenseits von Nationen an. Diese strikt universell anationale Utopie, die Derrida als Kern von Menschenrechten für unverzichtbar hält, haben Stalin und seine Nachfolger mit ihrem "Sozialismus in einem Lande" ebenso verraten wie mit ihrer terroristischen Repression gegen angebliche "Feinde des Sozialismus", ihrer Sakralisierung der Partei und ihres obersten Repräsentanten zum gottähnlichen Diktator.

Auch wenn man Ryklins These von der Kontinuität von Stalin zu Putin nicht teilt - bedenkenswert ist sie allemal: "Stalin ist das Gefäß, in dem der Kommunismus und der orthodoxe Glaube verschmelzen, in dem die Synthese des Staatsatheismus von gestern und des Staatsglaubens von heute stattfindet."

Michail Ryklin: "Kommunismus als Religion. Die Intellektuellen und die Oktoberrevolution". Aus dem Russischen von Dirk und Elena Uffelmann. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2008, 191 Seiten, 17,80 €

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