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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Die Ruhe des Viertels färbt angenehm ab

Natalie Tenbergs Gastrokritik: Die Kastanie in Charlottenburg – die Portionen sind klein, dafür die Preise niedrig. Prima: Man kann diverses bestellen

Die Kastanie ist ein unauffälliges Lokal an der Schlossstraße in Berlin-Charlottenburg. Kein großes Schild kündigt es an, jede Form marktschreierischen Gebarens wird vermieden. Der kleine Biergarten ist per Eisenzaun von der Straße abgegrenzt und liegt zu Füßen eines umwucherten Altbaus. Auf dem Kiesboden stehen Bänke und Tische.

Nicht wenige Passanten entscheiden sich spontan nach ihrem Spaziergang im Park des Schlosses Charlottenburg, hier ein Bier zu trinken oder einen Café. Stammgäste erkennt man daran, dass sie das Lokal zielsicher ansteuern, die Bedienung freundlich, wenn auch in gedämpftem Ton grüßen und sich zur Lektüre zurückziehen. Laut ist in der Kastanie keiner. Hektisch auch nicht. Selbst die Bedienung schleicht gemächlich von Tisch zu Tisch, ohne verschlafen zu wirken.

Wer leicht friert, findet in diesen Herbsttagen im hinteren Teil des schlauchartigen, aber hellen und erstaunlich großen Schankraums genügend Platz. Hier kann man das authentische Flair einer besseren und eingesessenen Berliner Kneipe genießen.

Immerhin besteht die Kastanie in der heutigen Form seit 32 Jahren. Vom Biergarten blickt man auf die von hohen Bäumen gesäumte Straße, den großen sandigen Mittelstreifen, auf dem seit Jahren schon Boule gespielt wird, und auf das Lokal gegenüber. Dieses hat gegenüber der Kastanie den Vorteil, am Nachmittag in der Sonne zu liegen, dafür aber genießt die Kastanie morgens strahlenden Sonnenschein. Die einzige Störung der Ruhe: In regelmäßigen Abständen rasen Doppeldecker-Cabrio-Busse vorbei, die große Sightseeing-Erlebnisse versprechen.

Die Gerichte auf der Speisekarte sind einfach. Pub Grub, sagt ein englischer Tourist am Nebentisch, also typisches Kneipenessen. Dass es bayrisch angehaucht ist, bemerkt er nicht: Leberkäse und Würstchen mit Händlmeier-Senf.

Sehr überzeugend ist der Kartoffelsalat, in dieser Qualität eine Seltenheit in Berlin: Die Zwiebeln sind so frisch, dass sie beim Essen knacken, die Marinade ohne Mayonnaise, fein gewürzt, die Kartoffelscheiben sind nicht zu dick und nicht zu dünn – perfekt! Zwar sind die Portionen klein, dafür sind die Preise niedrig. So bestellen viele Gäste einfach mehrere Kleinigkeiten, die spanische Tapas-Philosophie ist in der deutsche Küche angekommen. Schön!

Es gibt verschiedene Biere, aber am besten zur entspannten Stimmung passt das Kölsch vom Fass. Egal wie gehetzt man einkehrte, die Ruhe des Viertels, der Straße und des Lokals färben auf den Gast ab. Der schwört, bald mit der Zeitung in der Hand wiederzukommen oder seinen Freunden in der Heimat von diesem Ort zu erzählen.

Deshalb trifft weiterhin die Stammkundschaft auf internationale Besucher, und alle leben gemeinsam in ruhiger Eintracht.

KASTANIE, Schlossstr. 22, 14059 Berlin, Tel. (0 30) 3 21 50 34, U-Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz, täglich 10–2 Uhr geöffnet, Speisen ab 1,30 €, Kölsch 1,40 €, Cappuccino 1,70 €