Ganztagsschulen im Kommen: "Bikinimodell" ist verbreitet

Die Mehrheit der Ganztagsschüler nutzt die speziellen Nachmittagsangebote ihrer Schule. Doch es fehlt die Verzahnung mit dem Vormittag, sagt eine Studie.

Mittagessen ist wichtig: Cäcilien-Ganztagsgrundschule in Berlin Bild: dpa

Bei Gesellschaftstanz gerät Stefan Appel richtig ins Schwärmen. Seitdem der Schulleiter einer Kasseler Ganztagsschule einen Tanzlehrer eingestellt hat, erfreuen sich Walzer und Foxtrott bei seinen Schülern großer Beliebtheit: "Wir haben auch einen Abschlussball, da kommen die Jugendlichen in langen Kleidern, und das an einer Brennpunktschule." Alle Schüler nähmen inzwischen an einem der 70 Nachmittagsangebote teil, berichtet Appel stolz.

Von solchen Quoten ist die Mehrheit der Ganztagsschulen noch weit entfernt. Nur 56 Prozent der Grundschüler und 70 Prozent der Oberschüler, die an Ganztagsschulen lernen, bleiben an mindestens einem Tag nachmittags in der Schule. Immerhin gelingt es damit derzeit schon zwei Dritteln der Ganztagsschulen, die Mehrheit ihrer Schüler für ihre Nachmittagsangebote zu gewinnen. Das konstatieren Bildungsforscher, die am Montag die Ergebnisse der Studie zur Entwicklung der Ganztagsschulen (StEG) in Berlin vorstellten.

Die Wissenschaftler verfolgen die Entwicklung an 373 repräsentativ ausgewählten Ganztagsschulen seit 2005. Auftraggeber ihrer Untersuchungen sind der Bund und die Länder. Ein Jahr zuvor hatte die rot-grüne-Bundesregierung ein Vier-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau von Ganztagsschulen aufgelegt - in der Hoffnung, dass sich nach dem miesen Abschneiden beim Pisa-Vergleich eine bundesweite Ganztagsschullandschaft etablieren möge. Die nun vorgestellten Befunde aus den Ganztagsschulen basieren auf Befragungen von Eltern, Schülern und Lehrern aus dem Jahre 2007, im Wesentlichen der gleiche Personenkreis, der auch 2005 befragt wurde. Damit lassen sich zum ersten Mal Entwicklungstendenzen an den deutschen Ganztagsschulen ablesen. Danach nehmen Schüler aus allen Schichten verstärkt am Ganztagsangebot teil. Auch von den Kindern, deren Mütter Hausfrauen sind, bleibt über die Hälfte regelmäßig oder in losen Abständen am Nachmittag in der Schule. "Ganztags kommt in der Gesellschaft an", bemerkte Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut.

Positiv vermerkten die Wissenschaftler, dass die Schulen ihre Nachmittagsangebote ausgeweitet haben. "Sie haben erkannt, dass Schule mehr ist als Sport, Spiel und Spannung", konstatierte Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung. Gestiegen sei die Anzahl der Förderangebote und der fächerbezogenen Arbeitsgemeinschaften, zwei Drittel der Schulen haben diese im Programm. Gegenüber 2005 ist das zwar ein Fortschritt, doch die Eltern wünschen sich laut der Studie mehr individuelle Förderung.

Auch die Wissenschaftler können von neuer Lernkultur an den Ganztagsschulen noch wenig entdecken. Unbefriedigend sei insbesondere die Verzahnung von Freizeit und Unterricht. Weil die Aktivitäten am Vormittag und Nachmittag wie zwei separate Teile unverbunden nebeneinanderstehen, nennt Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung dies das "Bikini-Modell". Die meisten Ganztagsschulen seien noch immer auf diese Weise organisiert. "Mit mehr Lehrern könnten wir dagegen echte Ganztagsschulen stärken", meint Holtappels. Ein Appell an die Länder, die seit 2006 die alleinige Hoheit über die Schulen haben.

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