Ruanda vor den Parlamentswahlen: Im Modernisierungsschock

Die Regierung will dem Land rasch zu einer blühenden Ökonomie verhelfen, damit sich der Genozid nie mehr wiederholt. Eine richtige Opposition tritt bei den Wahlen nicht an.

Wählerin im Jahr 2003 Bild: dpa

KIGALI taz Unlängst erhielten die Bewohner eines Slumviertels an einem Berghang der ruandischen Stadt Gisenyi die Aufforderung, ihre Hütten zu räumen. Der Berg sei erosionsgefährdet, man müsse Bäume pflanzen, lautete die offizielle Begründung. Gleichzeitig aber werden am Nachbarberg demnächst unzählige alte Bäume gefällt, damit die Hauptstraße in die Hauptstadt Kigali verbreitert werden kann.

Ruanda ist ein dicht bevölkerter Staat in Ostafrika. Wegen seiner in weiten Teilen hügeligen Landschaft wird er auch "Land der tausend Hügel" genannt. Ruandas erste Mehrparteienwahlen seit der Unabhängigkeit 1962 gab es 2003. Damals gewann bei den Parlamentswahlen das Parteienbündnis der seit 1994 regierenden RPF (Ruandische Patriotische Front) von Staatschef Paul Kagame 73,8 Prozent, die PSD (Sozialdemokratische Partei) 12,3 Prozent und die PL (Liberale)10,6 Prozent. Bei der Präsidentschaftswahl siegte Kagame mit 95,1 Prozent.

Von den 80 Sitzen im ruandischen Unterhaus werden am Montag 53 direkt gewählt. Es gilt eine Fünf-Prozent-Klausel und eine 30-Prozent-Frauenquote für die Parteilisten. Die anderen Sitze werden in indirekten Wahlen von Interessengruppen bestimmt: 24 für Frauen, zwei für Jugendliche, einer für Behinderte. DJ

Solche Widersprüche sind heute häufig in Ruanda, einem für seine düstere Geschichte des Völkermordes bekannten Land im Herzen Afrikas, dessen Regierung eine ungestüme Modernisierung betreibt. Nichts soll so bleiben wie früher, die ganze Gesellschaft soll umgekrempelt werden, damit sich so etwas wie der Genozid an über 800.000 Tutsi im Jahr 1994 nie mehr wiederholen kann. Das ist die Philosophie der Regierung von Präsident Paul Kagame, der 1994 als Führer der Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) das Völkermordregime stürzte und Ruanda seitdem regiert. Aus einem Entwicklungsland voller armer Kleinbauern soll innerhalb einer Generation ein moderner Entwicklungspol Afrikas werden. So ist das einst schläfrige Kigali zu einer pulsierenden Metropole geworden, mit Staus, blitzenden Einkaufszentren und ausgedehnten Villenvierteln. Die Kehrseite: erst vor wenigen Wochen wurde ganz zentral, am Berghang Kiyovu direkt unterhalb der deutschen Botschaft, ein ganzes Wohnviertel aus Lehmhütten und verschlungenen steilen Gassen dem Erdboden gleichgemacht, damit dort Büros entstehen können. Manche Hütten wurden zerstört, als die Bewohner noch mit den Behörden über die Entschädigung verhandelten. Man müsste meinen, dass solche Vorgänge Thema bei Ruanda Parlamentswahlen am kommenden Montag sein müssten.

Ruandas Parlament ist einzigartig: es hat die höchste Frauenquote der Welt, fast 50 Prozent. Aber es besteht ausschließlich aus Parteien, die in der Regierung vertreten sind. So betonen die drei antretenden Parteien - die RPF gemeinsam mit sechs Kleinparteien, die Liberale Partei PL und die Sozialdemokratische Partei PSD - im Wahlkampf ihre Gemeinsamkeiten. Man habe viel geschafft, jetzt müsse man den eingeschrittenen Weg weitergehen, ist zu hören. Ruandas Parteienlandschaft ist eingeschränkt: nur wer die grundsätzlichen Orientierungen des Staates bejaht, darf frei tätig sein. Das ist eine Lehre aus dem Völkermord, als Parteimilizen Massenmorde begangen. Nie wieder sollen im Namen von Parteien Menschen gegeneinander aufgehetzt werden.

Auf einer Wahlkampfkundgebung nennt Präsident Kagame die Errungenschaften der letzten Jahre: kostenlose Grundschulbildung und Basisgesundheitsversorgung für alle, die Förderung der Frauen; das Ende der Flüchtlingskrisen. Als nächstes gehe es nun um die regionale Integration, um die Wirtschaft zu stärken.

Im Gespräch allerdings gibt ein hochrangiger RPF-Kader bereitwillig zu, dass die Regierung derzeit ziemlich unbeliebt ist. Die Politik von Zwangsumsiedlungen und Slumräumungen sei ebenso unpopulär wie die "ländliche Konsolidierung", bei der die Bauern statt verschiedene Grundnahrungsmittel für den Eigenbedarf ein staatlich vorgeschriebenes Agrarprodukt für den Markt anbauen sollen. "Aber schon früher war es so, dass unsere Politik erst unbeliebt war und ein paar Jahre später haben es die Leute verstanden", rechtfertigt er das.

Das ist eine riskante Strategie. Grundnahrungsmittel und Benzin sind in Ruanda dieses Jahr sehr teuer geworden, der gefühlte Lebensstandard sinkt. Das ist ein globales Problem. Aber auch die Steuern sind sehr hoch, und es gibt vermeidbare Schikanen: so müssen bis zum 25. September die alten Papierführerscheine gegen computerlesbare Führerscheine eingetauscht werden, für eine Gebühr von knapp 60 Euro, das ist ein anständiges Monatsgehalt.

PL und PSD kritisieren die RPF nicht öffentlich. Sie sehen sich nicht als Oppositionskräfte, sondern als intellektuelles Korrektiv. Das hat historische Gründe: Sie entstammen der zivilen Opposition gegen das für den Völkermord verantwortliche Regime in der Zeit vor 1994, während die RPF damals noch im Busch kämpfte. Fragt man PL-Wahlkämpfer, warum sie in der PL sind und nicht in der RPF, lautet die häufigste Antwort: Meine Eltern waren schon PL, als es noch lebensgefährlich war.

Und allmählich bewegt sich etwas. Auf der PL-Abschlusskundgebung am Donnerstag, auf einem Hügel von Kigali zwischen einem Sportstadion und dem islamischen Kulturzentrum, rufen mehrere hundert PL-Anhänger mit Megaphonen dermaßen laut und begeistert "Freiheit!" in den schwülen Himmel, dass man meinen könnte, hier beginne ein demokratischer Frühling. "Das ist schon eine andere Stimmung als vor fünf Jahren", bei den letzten Wahlen 2003, meint ein zuschauender Bankangestellter. Nur ist außer den Parteiaktivisten in grünen T-Shirts mit dem Parteisymbol der drei gelben Sterne kaum jemand zu dieser immerhin nationalen Kundgebung gekommen - ganz anders als bei RPF-Veranstaltungen. Dass eine Regierung an der Wahlurne abgestraft werden könnte hält niemand in Ruanda für denkbar.

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