Debatte Deutsche Soldaten in Afghanistan: Sind wir schon im Krieg?

Die Arbeit der deutschen Soldaten in Afghanistan ist vertrackt. Führen sie Krieg oder sind sie Teil eines "Einsatzes"? Der Streit um den korrekten Begriff trifft das Problem im Kern.

Was hat die aktuelle Afghanistan-Debatte mit dem jüngst angelaufenen Mafia-Film "Gomorrha" zu tun? Der Film handelt vom miesen, gewaltdurchtränkten Milieu der neapolitanischen Mafia, der Camorra. Andauernd schnauzen die Drogenhändler die kleineren Jungs an: "Es ist Krieg, Mann, hier ist Krieg, du musst schießen." Die Lehre lautet: Wer als Erster "Krieg" sagt, bestimmt die Wahl der Waffen - und damit den Fortgang der Ereignisse.

Kaum jemand bestreitet noch, dass die USA und die Briten mit weiteren Verbündeten im Süden und Osten Afghanistans sowie inzwischen auch in Pakistan "Krieg" führen: Es wird gekämpft. Soldaten und Widerstandskämpfer sterben. Zivilisten werden bombardiert - wenn auch, so darf vorerst unterstellt werden, unabsichtlich.

Aber ist auch das, was die Bundeswehr im Norden Afghanistans macht, ein "Krieg", wie etwa der Bundeswehrverband oder die Friedensbewegung meinen? Oder handelt es sich noch um einen "Einsatz" in einer "angespannten" und sich gegebenenfalls "zuspitzenden Sicherheitslage"? Auf dieser Formulierung beharren das Verteidigungsministerium ebenso wie die meisten mit Afghanistan befassten Politiker. Oder sollten wir immerhin schon von einer "Aufstandsbekämpfung" sprechen?

Die Debatte um die korrekte Bezeichnung wirkt zunächst, als möchten die Deutschen in ihren gemütlichen Sesseln wieder einmal lieber über Worte reden statt über Taten. Doch im zwischen Verteidigungspolitikern, Medien und Interessengruppen ausgetragenen Streit um den zutreffenden Begriff steckt das ganze große Problem. Nämlich: Ob und inwiefern das deutsche Engagement in Afghanistan (noch) Sinn hat. Denn wenn der Bundeswehreinsatz bereits einer Kriegslogik unterworfen ist, die nur die Eskalation kennt, muss er baldmöglichst beendet werden. Wenn der ganze zivile Wiederaufbau demnach bloß ein 140 Millionen Euro (pro Jahr) teures Feigenblatt ist, das Geld womöglich sowieso in den Schlünden der Korruption verschwindet, müsste auch er zur Disposition gestellt werden.

Das Isaf-Mandat verspricht International Security Assistance, also Unterstützung beim Aufbau einer afghanischen Sicherheit, mehr nicht. Es ist kein Kriegsmandat - was einer der Hauptgründe der Politik sein dürfte, das Wort zu umschiffen. Von "taktischer Semantik" sprach in diesem Zusammenhang kürzlich der Sprecher des Verteidigungsministeriums. Die meisten Soldaten vor Ort finden freilich, dass sie spätestens seit diesem gefahrenreichen Jahr in einem Krieg sind - oder jedenfalls in kriegsähnlichen Zuständen. Gemessen am schwindenden Sicherheitsempfinden hat es auf deutscher Seite und durch deutsche Hand jedoch seit Beginn der deutschen Afghanistan-Mission 2002 verhältnismäßig wenige Opfer gegeben. Kürzlich starb ein 29-jähriger Hauptfeldwebel, nachdem er mit seiner Patrouille auf einen Sprengsatz gefahren war. Er war nach der Zählung des Verteidigungsministeriums der zwölfte Tote in Afghanistan "durch Fremdeinwirkung".

Nun ist bis heute ungewiss, ob das geheimnisvolle Kommando Spezialkräfte KSK dort bislang tatsächlich bloß Aufklärung betrieben oder nicht doch auch den einen oder anderen Schuss abgegeben hat. Die Schilderungen reichen von "unterfordert und dauerbesoffen" (2002) bis "dicht auf den Spuren der gefährlichsten Taliban" (2008). Doch der erste Mensch, den die Bundeswehr offiziell zugibt getötet zu haben, war in diesem August ein Schäfer. Er griff deutsche Soldaten an, weil er sie für Viehdiebe hielt. In der Woche darauf starben eine Frau und zwei Kinder an einem Checkpoint, an dem deutsche Soldaten die Übersicht verloren hatten und bei Nacht und Staub auf ein Auto schossen.

Wenn nun der Chef des Bundeswehrverbands fordert, das Vokabular des Krieges auf den Einsatz in Afghanistan anzuwenden, von "Gefallenen" statt von "Getöteten" zu sprechen, möchte er den Soldaten vor Ort einen Gefallen tun. Wie deren Leistungen sollen auch die Opfer mit größeren Worten bekränzt und dadurch aufgewertet werden. Doch mit seinem Vorschlag entspricht Oberst Bernhard Gertz nur scheinbar dem Verlangen der Öffentlichkeit nach ehrlichen Worten anstelle des ewig unbefriedigenden Sicherheitssprechs von "asymmetrischen Bedrohungen". Im Grunde will Gertz nur die kühle moderne Einsatzrhetorik durch die gute alte Kriegsrhetorik ersetzt wissen.

Doch auch die Gegner des Afghanistan-Einsatzes, die morgen zur Demonstration in Berlin und Stuttgart aufrufen, sprechen von "Krieg". Auch sie wollen dem blümeranten Koalitions-Kauderwelsch zum stetig fortschreitenden Aufbau der Demokratie in Afghanistan deutlichere Worte entgegensetzen.

Ihnen geht es weniger darum, die Leistung der deutschen Soldaten zu loben. Sie heben im Gegenteil darauf ab, dass bei aller Friedfertigkeit der brücken- und brunnenbauenden Bundeswehr diese nun einmal Anteil an einem Einsatz hat, der maßgeblich und kriegerisch von den USA bestimmt wird. In der Tat sprechen viele Indizien dafür, dass die Bundeswehr auch von immer mehr Afghanen mit den US-Truppen in einen Topf geworfen wird. Wobei niemand so viel Geld auch in den Wiederaufbau steckt wie die USA. Nur scheinen sie mit ihrem Militäreinsatz mindestens so viel an Frieden und Demokratie zu zerstören, wie sie unter Dollareinsatz wieder aufbauen wollen.

Doch die kriegskritische Logik "Wir nennen es Krieg, um den sofortigen Abzug zu fordern" greift entschieden zu kurz. Niemand kann ernsthaft glauben, dass in Afghanistan plötzlich alles gut würde, wenn die Deutschen und andere nächste Woche abzögen. Tausende Afghaninnen und Afghanen arbeiten mit den Isaf-Nationen im Vertrauen auf deren Schutz zusammen. Ihr Leben ist in Gefahr - und längst nicht nur ihres. Auch die Bundeswehr will raus aus Afghanistan. Die Militärs sagen längst, dass der Wiederaufbau Afghanistans mit militärischen Mitteln nicht gelingen wird. Und auch die Parteien hätten das Problem Afghanistan lieber heute als morgen vom Hals.

Der Einsatz in Afghanistan war von vornherein fehlerhaft. Mittlerweile ist klar, dass die internationale Gemeinschaft dort zu sehr auf die falschen Leute gesetzt und die Entwaffnung der Bürgerkriegs-Kämpfer vernachlässigt hat. Die deutschen Innenminister haben den versprochenen Aufbau der afghanischen Polizei versäumt und damit schwere Schuld auf sich geladen. Jetzt ruht die Hoffnung auf Sicherheit auf der afghanischen Armee. Sie wird übrigens von den USA ausgebildet, ausgerüstet und bezahlt.

Alles in allem verweist die Rede vom "Krieg" vor allem auf die eigene Unsicherheit, und sie führt weg von der eigentlichen Verantwortung der internationalen Gemeinschaft. Die Betonung auf "Krieg" verhindert, dass über den Aufbau eines halbwegs sicheren, halbwegs funktionierenden Staates Afghanistans gesprochen wird. Dabei ist doch klar, dass es kein "Raus" geben kann, ohne dass das "Wie" beantwortet wird.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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