: Eine Plastik fürs Parlament
SCHLAGLOCH VON MATHIAS GREFFRATH Statt Wachstumskritik Kunst. Die soll blinken und alle vor allem warnen
■ ist freier Autor und lebt in Berlin. Zuletzt schrieb er in der taz über Hannah Arendt. Er ist fest davon überzeugt, dass wir die Hoffnung auf einen Politikwechsel auf 2017 verschieben müssen.
Wenn es nach der Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages geht, genauer gesagt, nach der Projektgruppe 2 dieser Kommission, wird demnächst ein neues Kunstwerk das Reichstagsgebäude schmücken. Es wird ein Mahnmal die Unzulänglichkeit parlamentarischer Prozeduren sein.
In Enquetekommissionen, so sieht es die Geschäftsordnung des Parlaments vor, sollen Abgeordnete und Experten parteiübergreifend langfristige und über die Fraktionsgrenzen konsensbedürftige Probleme bearbeiten, um dem Parlament konkrete Handlungsempfehlungen zu liefern. Meist führt das zu dicken, folgenlosen Fleißarbeiten für die Archive. So disparat wie in der Wachstumsenquete allerdings dürfte selten ein Bericht ausgefallen sein. Kein Wunder, denn er rührt an die Systemfrage, und das ist eine starke Vermeidungsverlockung.
Fetisch Wachstum unangetastet
Schon die Tatsache, dass sich kein „Spitzenpolitiker“ in die Kommission drängte, sondern dass man die Bearbeitung der epochalen Frage, ob es Alternativen zur Wachstumswirtschaft gibt, Parlamentsneulingen überließ und sie mit einem unscharfen Untersuchungsauftrag ausstattete, ließ nicht auf Resultate hoffen.
Überdies wollten die Obleute der Koalition unbedingt verhindern, dass die Kommission von der Opposition „als ein Weg auf der Suche nach dem Kommunismus“ missbraucht würde oder als ein Forum der „um sich greifenden Wachstumsskepsis“.
Eine große Chance wurde vertan. Dem Primat der Politik folgend, den die „soziale Marktwirtschaft“ postuliert, hätten sich die 34 Politiker und Experten zum Beispiel fragen können: „Wie können die Politikziele Vollbeschäftigung, intakte Umwelt, Generationengerechtigkeit, Bildungsexpansion, Innovationsforschung, soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, öffentliche Daseinsvorsorge, Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten ohne Wachstum erreicht werden? Welche neuen Verhaltensweisen und welche konkreten politischen Rahmenbedingungen sind hierfür nötig?“
Diese Fragen aus der Denkfabrik des wertkonservativen Meinhard Miegel, den die CDU als Experten benannte und dann desavouierte, sind konkreter und radikaler als alles, was in dieser Kommission je gefragt worden ist. Weder über Varianten des Schuldenabbaus (Sparen oder Steuern) und deren Konsequenzen wurde argumentativ gestritten noch über systemische Alternativen zum profitablen Krankheitsreparatursystem, zum ökologisch verderblichen Individualverkehr, zum gespaltenen Arbeitsmarkt, zur marktförmigen Organisation der Pflege, zur asymmetrischen Verteilung des Wohlstands usw. Diese Kommission hatte die Chance, die Initiativen oder Argumente zu bündeln, die seit Jahren aus Tausenden von kommunalen, mittelständischen oder genossenschaftlichen Initiativen kommen. Sie hätte nach dritten Wegen suchen können.
Streiten, nur nicht nachdenken
Nichts von alledem. Stattdessen – im Wahljahr – festgezurrte Positionen, begriffliche Bestecke von gestern. Die Arbeitsgruppe, die grundsätzlich über den Stellenwert von Wachstum nachdenken sollte, zerstritt sich so sehr, dass sie sich nur noch per E-Mail mit Positionspapieren beballerte: diskursverweigernder Stellungskrieg statt parlamentarischer Debatte. So gab es am Ende statt einer Empfehlung ans Parlament zwei Resultate: Im FDP-lastigen Koalitionsbericht sind, leicht verkürzt gesprochen, Gesundheit, Lebensqualität, Bildung, Umwelt und Zufriedenheit weiterhin vorwiegend abhängige Variablen des Wachstums; der Bericht der Opposition (SPD, Grüne und Linke!) setzt die Entkoppelung von Sozialsystem, Arbeitsmarkt, Staatshaushalt und Wachstum auf die Tagesordnung. Und beides steht unverbunden nebeneinander.
So war es wohl nur konsequent, dass sich in der Kommissionsdrucksache 17(26)90 nun eine Ausschreibung für Krisenkunst-am-Bau findet: Eine Installation soll entstehen, aus Monitoren, Warnlampen und Leuchtelementen, die schon bald Daten, Notsignale und Hinweisblitze ins Dunkel des Reichstags senden soll, dazu vielleicht noch allerlei Bildmaterial und Gebrumme und Gepiepse, das die Gefährdungen durch Staatsschulden, Treibhausgase, steigende Lebenserwartung, Unterernährung durch mangelnde Bildung oder falsche Vermögensverteilung, aber auch den Nutzen eines nachhaltigen Privatsektors und den Grad der gefühlten Freiheit visualisieren soll, inklusive Immobilienblasenwarnung, Artentodsirene, Einkommensscherenalarm und Stickstoffübersättigungsskala.
Angst vorm Zusammenhang
Bei alldem lautet die einzige begrenzende Bedingung für die Artisten, die dieses gesamtgesellschaftliche „Dashboard“ entwerfen wollen: Es soll keine Gewichtung der Indikatoren geben. Soll sich doch jeder Betrachter selbst seinen Reim machen über den Zusammenhang von Einkommen und Lebensdauer, Staatsschulden und Vermögen, Stickstoffausstoß, BIP-Wachstum und Vogelsterben bzw. Arbeitslosigkeit. Freie Kunst für freie Menschen in einer freien Gesellschaft – man könnte darüber lachen. Aber es ist nicht zum Lachen.
Die Zahlen der Naturwissenschaftler, die der Bericht zitiert, machen es unwiderleglich, dass wir einige ökologische Schranken schon überschritten haben, die Zahlen der Wirtschaftswissenschaftler, dass alle Sparsamkeit beim Ressourcenverbrauch vom quantitativen Wachstum zunichtegemacht werden. Wir müssen, nach 300 Jahren kapitalistisch-wissenschaftlicher Naturbeherrschung, Begrenzung lernen und neu definieren, was das menschliche Maß ist. So schreiben es der stellvertretende Vorsitzende der Kommission, der CDU-Abgeordnete Matthias Zimmer (ein Adorno-Kenner aus Frankfurt) und das ökologische Urgestein der SPD, Michael Müller, in einem Grundsatzpapier, das die Kommissionsmehrheit wohl kaum verabschieden dürfte. Was unsere Skepsis gegenüber dem real existierenden Parlamentarismus bestätigt und unser Vertrauen in die Vernunft der Einzelnen stärkt.