die wahrheit: Automatenabitur an der Volkshochschule

Volkshochschulen und ihr Angebot werden oft lächerlich gemacht. Vor allem von Menschen, die sich als Elite der gebildeten Schichten sehen, obwohl sie tatsächlich nur mittelmäßig was auf dem Hirnkasten haben.

Volkshochschulen und ihr Angebot werden oft lächerlich gemacht. Vor allem von Menschen, die sich als Elite der gebildeten Schichten sehen, obwohl sie tatsächlich nur mittelmäßig was auf dem Hirnkasten haben. Aber das ist die Crux des deutschen Bildungssystems: Es selektiert nicht nur sozial und rassistisch und verhindert so, dass Arbei ter-, Harzvier- und Migrantenkinder eine höhere Bildung erlangen, sondern lässt gleichzeitig auch viel Doofes und Selbstgerechtes aus den Mittel- und Oberschichten bis zum Universitätsabschluss durchrutschen. Irgendjemand muss ja die Seminarräume überfüllen.

Jahrelang machten Kabarettisten, wenn ihnen nix mehr einfiel, Witze über vermutlich erfundene VHS-Kurse wie "Waldbodenatmung für Anfänger" oder "Hatha-Yoga für Hausfrettchen". Lustigerweise haben diese Kabarettisten ihre ersten Bühnenerfahrungen meist Ende der Siebzigerjahre in VHS-Theaterkursen wie "Finde deinen eigenen Clown" gemacht. Aber das Gedächtnis ist nun mal kurz.

Dabei ist die Volkshochschule schon allein deswegen eine prima Erfindung, weil sie von der schönen Prämisse ausgeht, dass man immer etwas dazu lernen kann. Und gerade das traditionell zwischen absolut praktisch und angenehm abseitig changierende Kursangebot ist eine große Stärke dieser Einrichtungen. Ob es die "Waldbodenatmung" jemals gegeben hat - wer weiß, aber wie schade wäre es eigentlich, wenn niemand je auf eine solch besemmelte Idee gekommen wäre? Vermutlich fehlt den Deutschen jedoch einfach der Respekt vor dem Exzentrischen und sinnlos Besonderen. Wobei am lustigsten meist die kreative Kursbenennung ist. Zum Beispiel bietet die VHS Dortmund in diesem Halbjahr die Koch- und Alliterationskurse "Fingerfood mit Pfiff", "Häppi Häppchen - Rezeptideen für die Silvesterparty" und den Nähkurs "Mützen, Taschen und Co. KG" an. Also ich freu mich über so was.

Aber auch inhaltlich leistet die Volkshochschule Dortmund Bedeutendes und springt in Bildungsbreschen, die von anderen mit großer krimineller Energie geschlagen werden. Mein Lieblingskurs im Bereich "Technik" ist: "Automatenschulung Deutsche Bahn". Und genau darum geht es: Da der größte Bahnchef aller Zeiten, Hartmut Mehdorn, alles tut, um das Benutzen von Zügen möglichst unattraktiv und schwierig zu gestalten, bietet die VHS nun einen Kurs an, in dem man "gemeinsam mit einem Experten am Automaten trainieren" kann, um "das Beste aus dem Automaten herauszuholen, Fahrkarten schnell und unkompliziert auszudrucken, sich die günstigsten Zugverbindungen anzeigen zu lassen und Platzreservierungen vorzunehmen. Nah- und Fernverkehrsautomaten werden für Sie dann keine Geheimnisse mehr sein!"

Der Kurs wird interessanterweise nicht von einem verschrobenen Computernerd durchgeführt, sondern von "Dirk Haferkemper, Empfangschef im Reisenzentrum Dortmund Hbf". Der Kurs dauert zwei Stunden und kostet zwei Euro. Und damit liegt die Gebühr immer noch 50 Cent unter dem wieder zurückgezogenen Beratungsaufschlag der Deutschen Bahn beim Kauf einer Fahrkarte am Schalter. Wenn nicht auch das wieder für die Volkshochschulen spricht …

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kari

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