Kommunalwahl: Zum Beispiel Templin

Rechte begehen einen Mord an einem Arbeitslosen. Der Bürgermeister duckt sich weg. Der Ruf der Stadt ist ruiniert. Das ist Templin. Es gibt aber auch ein anderes Templin. Eine Ortsbesichtigung.

Andere Städte gehen offensiv mit dem Thema um. Templins Bürgermeister nicht. Bild: AP

Die Rechtsextremen treten bei den Kommunalwahlen am Sonntag mit mehr als doppelt so vielen Kandidaten an als 2003. Stellten sich bei den Wahlen vor fünf Jahren noch 45 DVU- und 16 NPD-Kandidaten an, ist die Zahl nun auf 72 Kandidaten der DVU und 49 der NPD gestiegen. Die 39 Kandidaten der ebenfalls rechten DSU sind nicht hinzugerechnet. Damit sind die rechten Parteien außer in Brandenburg/Havel, Frankfurt/Oder und Ostprignitz-Ruppin in allen Landkreisen und kreisfreien Städten vertreten. In einem Kreis treten DVU und NPD gegeneinander an, die anderen Gegenden haben sie unter sich aufgeteilt.

Das Augenmerk dürfte am Sonntag besonders auf dem Kreis Spree-Neiße liegen: Dort kandidiert mit Alexander Bode für die NPD ein Neonazi, der wegen rassistischen Totschlags verurteilt ist. Bode war Hauptschuldiger an der tödlichen Hetzjagd in Guben 1999 auf den Algerier Omar Ben Noui.

Demokratische Politiker riefen die Brandenburger auf, zur Wahl zu gehen. Nur so könnten die Rechten aus den Parlamenten fern gehalten werden.

Templin ist schön. Mit Aufbau-Ost- und EU-Geldern wurden die Fassaden der uckermärkischen Stadt verputzt, marode Straßenbeläge geglättet, die alte Stadtmauer restauriert. Aneinander geschmiegt säumen die Häuser die Straßen, die zum Marktplatz führen. Dort steht das alte Rathaus.

Nicht protzig, nicht übermächtig. Lachsrot gestrichen mit weißem Gesims und Turm macht es die umliegenden Gebäude nicht kleiner. Städtebaulich ist Templin demokratisch. So gesehen haben die Stadtoberen alles richtig gemacht. Allein, ein paar Rechtsradikale haben es geschafft, den Ruf der Stadt dennoch zu ruinieren. Von Demokratie, von Weltoffenheit bei ihnen keine Spur.

Der Verfassungsschutz zählt 80 meist junge Rechtsextreme zur Templiner Szene. Das ist viel für eine Stadt, die mit den eingemeindeten Dörfern 17.000 Einwohner hat. "Kaputte" nennen die Templiner die Nazis gern. "Ich lass mir von ein paar Kaputten die Stadt nicht vergällen."

Vergällt ist die Situation aber, seit bekannt ist, dass zwei Rechtsextreme im Juli einen arbeitslosen Tischler umbrachten. Gar nicht weit von einem der historischen Stadttore. Seitdem macht Templin negative Schlagzeilen. "Die Zeitungen sind Schuld", beklagt sich eine grauhaarige Passantin, die über den Markt geht. "Die Zeitungen übertreiben. Das gab es doch schon immer", sagt eine andere. Was gab es schon immer? Dass man Menschen einfach umbringt, weil sie einem nicht ins Bild passen? "Mord und Totschlag gab es schon immer", antwortet sie und fügt noch hinzu: "Das sind doch junge Leute."

Bei der Kommunalwahl am Sonntag wollen viele wählen gehen. Auch gegen rechts. "Die Braunen brauch ich nicht noch mal", erklärt ein Mann, der auf einen Bus wartet. Er sei in Böhmen geboren. "Ich weiß, was es heißt."

Auch ein Rentner mit Fahrrad, dessen Kinder in der Schweiz arbeiten, schlägt nachdenkliche Töne an: "Ja, da ist schon was dran an den Rechtsradikalen. Das hat man zu lange nicht wahrhaben wollen." Doch nur wenige sehen, dass die Neonazis nicht erdbebengleich über die Stadt hereingebrochen sind, sondern dass das eine Geschichte hat.

Harald Löschke, der Leiter der Templiner Polizeiwache, hat schon im Juni bei einer SPD-Veranstaltung auf die steigende Zahl politisch rechts motivierter Straftaten in Templin hingewiesen. Im ersten Halbjahr 2008 hat sie sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Und auf Gegenrede.info, dem Internet-Infoportal gegen Rechtsextremismus in der Uckermark, listet der Journalist Peter Huth regelmäßig die Übergriffe der Rechten auf. In neun von elf Fällen fanden allein in den ersten acht Monaten diesen Jahres Körperverletzungen statt, begangen von Nazis in Templin.

Bürgermeister Ulrich Schoeneich (parteilos) scheint indes nichts von den rechten Exzessen bemerkt zu haben. Noch immer tut er sich schwer, sich öffentlich gegen rechte Gewalt zu bekennen. Mit Sprache, mit Sprechen habe er es nicht so. "Ich bin doch Ingenieur." Dass ihm das Ausmaß der rechten Exzesse nicht klar war, erklärt er bis heute damit, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei ihn nicht informiert hätten. Schoeneich ist seit der Wiedervereinigung im Amt.

Tatsächlich, wer will, kann wegsehen. Auf dem Marktplatz, in den Hotels hängen die Rechten nicht rum. Dem Tourismus, von dem die Stadt lebt, versetzt die schlechte Presse einen größeren Schlag als die rechte Gewalt.

Weit gehen, um die beschauliche Idylle hinter sich zu lassen, muss man allerdings nicht. Schon der erste Parkplatz vor dem Supermarkt im Hochhausgebiet hinterm Mühlentor ist ein Treffpunkt der Nazis. "Tagsüber nimmt man die Rechten nicht so wahr", sagt Jörg Krüger, Wirt vom Old Baileys, das am anderen Ende des Parkplatzes liegt - ein Treff für die aufgeschlossenen Templiner. Nachts aber, wenn genug Alkohol geflossen ist, ginge es los. Es war sein Onkel, den die Nazis im Juli erschlugen.

"Unter den Jugendlichen wird gesoffen, gesoffen und gesoffen", meint der Templiner Polizeichef Harald Löschke über die Gruppe, zu der auch die mutmaßlichen Mörder des Tischlers gehören. "Zusammen mit Perspektivlosigkeit und fehlenden Ansprechpartnern bei Problemen gibt das eine fatale Mischung", findet er. Die Arbeitslosigkeit in Templin liegt bei 20 Prozent.

Was die Situation in der Stadt so vertrackt macht: Man kennt sich. Als eine Gruppe Rechter einmal die Party eines Schwarzen im Irish Pub stürmen wollte, kannte Krüger einen Angreifer, mit dem er früher im Sportverein war. Er konnte die Gruppe zurückpfeifen.

Auch Christian Hartphiel, Templinfan und Landesvorsitzender der Brandenburger Schwusos, hatte mal einen guten Freund, der nun zum harten Kern der rechten Szene gehört. Manchmal glaubt er, dass das bis heute ein Grund ist, warum er als Schwuler von keinen Übergriffen berichten kann. Er wohnt unweit vom Marktplatz. Im Waldhof, der großen Behinderteneinrichung, in der Angela Merkels Vater Pastor war, arbeitet er. Im Templiner Rathaus hat er seinen Lebensgefährten geheiratet.

Hartphiel hat einen homosexuellen Freundeskreis in der Uckermark gegründet. 150 Leute gehören dazu. Mitunter lädt er in die Scheune auf seinem Hof in der Altstadt zu Kulturveranstaltungen. "Es gibt so viele Leute hier, die daran arbeiten, dass die Stadt lebenswert ist, für alle." Er zeigt in verschiedene Himmelsrichtungen, dort, wo der China-Imbiss ist, der Grieche, die Pizzeria, die von einem gebürtigen Pakistaner betrieben wird.

Auf die Frage, ob er sich sicher fühlt in der Stadt, weicht der Pakistaner aus. "Die Ausländer haben ein Problem mit den Templinern", sagt der Pizzeriabesitzer. Die Ausländer also? "Ich aber nicht. Ich bin so ein Typ, der mit allen kann." Seit neun Jahren ist er in Templin. Er kennt die Leute.

"Wenn man sich kennt, wenn man schon im Sandkasten zusammen gespielt hat, wenn man sagen kann, hey, reiß dich zusammen, ich kenn deine Mutter, dann kriegt man das mit dem Rechtsein nicht mehr richtig zusammen", sagt Patrick Telligmann. Der 23-jährige Templiner studiert in Berlin. Lehrer will er werden und dann zurück in seine Stadt. Dass es diese kranken Köpfe dort gebe, tue ihm richtig weh, sagt er. Übers Internet hat er zwei andere junge Templinfans gefunden, die die Stadt genauso wenig den Gewalttätigen überlassen wollen. "Das Image der Stadt ist zu Recht versaut. Da dachten wir, können wir auch was machen."

Jetzt organisieren sie ein Demokratiefest auf dem Marktplatz. Dabei rufen sie die Bürger und Bürgerinnen auf, am Sonntag zu den Kommunalwahlen zu gehen. "Je mehr Leute wählen, desto größer die Chance, dass die NPD nicht in den Kreistag zieht", sagt Telligmann, der früher bei der Grünen Jugend war. "Demokratie bietet Schutz. Demokratie benötigt Schutz. Demokratie braucht uns - am Wahlsonntag", steht auf dem gelben Flyer, den sie überall verteilen.

In kurzer Zeit haben sie es geschafft, Vereine und Parteien dazu zu kriegen, dass sie das Demokratiefest unterstützen. "Wenn wir, die Alten, es nicht hinkriegen, uns gegen die Rechten zu stellen, dann müssen es die Jungen machen", meint der Rentner, dessen Kinder in der Schweiz leben. Und Telligmann sagt: "Ich will, dass die Leute begreifen, dass es sich lohnt, sich für die Zivilgesellschaft einzusetzen." Er ist ein Fan von Ton Steine Scherben. Beim Lied "Wenn die Nacht am tiefsten ist", läuft ihm ein Schauer über den Rücken.

Katja Lorenz vom "Jugendhaus Villa" unterstützt das Demokratiefest. Doch sie bringt auch das Dilemma des "anderen Templin" auf den Punkt. "Die jungen Leute müssen sich nicht rechtfertigen, sie können einfach tun." Rechtfertigen wofür? "Nicht genug gemacht zu haben."

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