unterm strich
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In ihrer Dankesrede für den gestern in München verliehenen Geschwister-Scholl-Preis nennt die Soziologin Necla Kelek als Grund für die oft gescheiterte Integration von Türken in Deutschland mangelnden Willen, sich auf das Land einzulassen. Kelek ermutigt die Deutschen, Missstände auch in fremden Kulturen offen anzusprechen. Hier einige vorab veröffentlichte Wortlautauszüge aus dem Redemanuskript:

„Stolz auf dieses Land zu sein ist den meisten Deutschen immer noch verdächtig. Manchmal fehlt ihnen ein wenig von dem Selbstwertgefühl, das andere im Übermaß vor sich hertragen. Und zuweilen hindert dieser Mangel an Stolz die Deutschen auch, Missstände anzuprangern, die sie wahrnehmen, besonders wenn es um Menschen aus anderen Kulturen geht. Die Deutschen hätten kein Recht dazu, diese Meinung ist unter den Deutschen selbst weit verbreitet. Die Angst, an andere Maßstäbe anzulegen, die man für sich selbst für selbstverständlich hält, führt dazu, dass Freiheitsverletzungen akzeptiert werden, die nicht akzeptabel sind. So wird es als fester Bestandteil einer anderen Kultur akzeptiert, wenn Eltern ihre Kinder von der deutschen Gesellschaft fern halten, beim Schwimmunterricht und bei Klassenreisen fehlen lassen, wenn Jungen und Mädchen getrennt aufwachsen sollen, wenn Jungen zu Wächtern der Familie erzogen werden, wenn die Eltern bestimmen, wann und wen die Kinder zu heiraten haben. Es wird eine archaische, oft religiös begründete Kollektivkultur akzeptiert, die elementare Rechte der Verfassung verletzt. Diese Mentalität, das Festhalten am türkisch-muslimischen Commonsense in der Fremde, führt zu der Situation, die wir heute in Deutschland bei mindestens der Hälfte der hier lebenden Türken haben. Sie leben in der Moderne, sind dort aber nie angekommen. Sie leben in Deutschland nach den Regeln ihres anatolischen Dorfs. Sie haben sich in ihren Glauben, in ihre Umma, eine Parallelwelt, zurückgezogen und reproduzieren sie, indem sie ihre Kinder so erziehen, wie sie selbst erzogen worden sind, und sie mit Mädchen und Jungen ihrer alten Heimat verheiraten. Diese Gemeinschaft ist in vielen Fällen ein Kontrollsystem, in dem die älteren Männer bestimmen. Keine guten Voraussetzungen für eine Demokratie, denn die braucht mündige Bürger. Und so ist letztlich an der Frage der Gleichberechtigung der Frau die Integration einer großen Zahl von Türken in Deutschland gescheitert. Wir müssen hingucken und uns eine ganze Menge einfallen lassen, wie wir die Muslime aus dem Getto der Parallelgesellschaft herausholen und ihnen eine aktive Integration abverlangen können.“