Wohlbefinden am Strand: Wirren des Wandels

Der italienische Badeort Rimini plant eine operative Verjüngungskur. Wellness heißt hier derzeit Hedonismus. Wer trotz alledem entspannen will, muss es auf eine sehr aktive Weise tun

In Italien am Strand Bild: dpa

Die Frage zaubert Claudia ein schüchternes Grinsen ins hübsche Gesicht, ein Hauch von Stolz ist zu spüren: "Haben Sie sich den Namen ausgedacht?" "Ja." "Hedonism 76" - diese Bezeichnung hat Claudia Verni, 37 Jahre alt, Bademeisterin in Rimini, ihrem Strandabschnitt, dem Bagno 76, tatsächlich gegeben. Damit hat sie alles andere als einen terminologischen Glücksgriff gelandet. Denn ausgerechnet hedonistisch nach modernem Verständnis soll es unter ihren 200 Sonnenschirmen nicht abgehen: Ihr Bagno gehört zu der örtlichen Vereinigung sogenannter Wellnessstrände - zu italienisch "Le Spiagge del Benessere". Im Zuge des Modephänomens Wellness sollen Bewegung, Ernährung und das Treatment nach dem Bade bewusst vonstatten gehen. Die pure Genusskarte wird einige Strandabschnitte weiter ausgespielt, aber auch dort ist das Strandleben nicht mehr so, wie es einmal war, als Rimini noch Teutonengrill genannt wurde. Rimini ist verwirrt: Es steckt im Wandel.

Der Wandel der Zeit kann auch in der Hotellandschaft gespiegelt werden. In Rimini stehen zwei Hotels, die gegensätzlicher nicht sein könnten: das altehrwürdige Grandhotel (www .grandhotelrimini.com), das mit Fellini bekannt wurde und jüngst seinen 100. Geburtstag feierte; und ein futuristisches Designhotel, für das Schnörkel, Pomp und Patina nur Gift wäre: das preisgekrönte Duomo Designhotel (www.duomohotel.com).

Zwischen München und Rimini verkehrt ein Autoreisezug der Deutschen Bahn.

Hauptreisezeit ist August. Viele der knapp 500.000 Deutschen, die im Jahr in die Gegend kommen, entscheiden sich für einen Trip über Pfingsten. Angenehm mild ist es aber bis in den Oktober hinein. Die Durchschnittstemperatur liegt dann noch bei knapp 20 Grad. Den meisten Sonnenschein bekommt der Juli ab, den wenigsten Regen der März.

Riminis Ruf als Partystadt lässt sich nicht nur auf die Strände, sondern auch auf die vielen Diskotheken zurückführen. Eine der beliebtesten Discos findet jede Woche in den Altromondo-Studios statt. Bekannt ist auch das Carnaby, das sich direkt in der Innenstadt Riminis befindet.

Bei Rimini befindet sich Italiens größter Miniaturpark, der Italia in Miniatura, in dem neben Bauwerken Italiens auch andere europäische Bauwerke in einem Miniaturformat ausgestellt sind.

Italienisches Fremdenverkehrsamt: www.enit-italia.de

Während die Wellnesswelle längst auch an den Stränden der Emilia-Romagna anbrandet, steht Claudia für ein noch seltenes Phänomen: den Bademeister als Frau. Nachdem "Bagnino" jahrelang ein reiner Männerjob war, gibt es seit einiger Zeit auch die "Bagnina". "Es ist wichtig, dass auch Frauen diese Arbeit machen", sagt Claudia. Mit emotionaler Intelligenz könnten Frauen den Kontakt zu den Gästen "besser halten". Im Angebot hat Claudia die ganze Umsorgungspalette: Yoga, Bauchtanz, Tai-Chi, Qigong, Fußreflexzonenmassage, Feldenkrais. Wenn es nottue, würde sie auch mal einen Knopf annähen, sagt die ehemalige Betreiberin eines Schuhladens in Rimini, die vor vier Jahren "ans Meer" wollte und gemeinsam mit ihrem Mann das Pachtrecht für Abschnitt 76 für über eine Million Euro erwarb.

Jedes Jahr wird nur eine Handvoll der 1.426 Bagnos an der Küste der Emilia-Romagna frei und wechselt dann nach Schrebergartenmanier sofort den Pächter. Gabriele gibt seinen seit 21 Jahren nicht her, denn das Geschäft brummt. Gabriele ist der Vorzeigebagnino Riminis. Wenn das Fernsehen etwas über das hiesige Strandleben macht und das Beach-Party-Klischee bemühen möchte, ist er stets einer der Protagonisten. Braun gebrannt, trägerloses Hemd mit "Bagnino 26"-Schriftzug, schnell fürs Foto mit einer Liege über der Schulter in Szene gesetzt oder wahlweise zwei Bikinischönheiten im Arm, entspricht er dem Idealtyp des Bagnino zu fast 100 Prozent.

"Meiner ist die Nummer eins", sagt der stämmige Mann über seinen Strand, grinst und zeigt seine Zahnlücke. Seinen Bagno hat er zur Marke gemacht. Sponsoren kommen zu ihm, am Abend ist es ein bekannter Kosmetikhersteller. Geschminkte Hostessen bringen Pröbchen einer neu erdachten Lotionvariante unters Partyvolk. DJ Afro sorgt für die Beats, im Netz der Stroboskopblitze zappeln die jungen Tanztouristen: Es ist eine anarchisch-ausgelassene Prolomeute, wie sie wohl nur Urlaubslocations hervorbringen können. Um halb drei sperrt Gabriele sein kleines Büro ab. Er sieht müde aus. Seit frühmorgens hat er Liegen ins Glied gesetzt oder zugewiesen.

Bei Gabriele ist jeden Abend Party angesagt. Tagsüber dürfen die Gäste ihre Körper an Fitnessstudiogeräten unter freiem Himmel stählen, im Jacuzzi unweit der kaum kühleren Adria chillen, sich bei lauter Musik den Versuchen der Animateure ergeben oder sich auf der Sonnenliege der fliegenden Händler erwehren mit ihren gefälschten Markenwaren, deren Erwerb mit bis zu 4.000 Euro geahndet wird.

Während sich in den 50er- und 60er-Jahren die Ausstattung der Bagnos in Sonnenschirmen, Liegen und einigen hölzernen Umkleidekabinen erschöpfte, wie Gabriele auf einem alten Foto zeigt, gleichen sie heute einer Kette aneinandergereihter Spielplätze für Klein und Groß. Es wimmelt von Wasserrutschen, Trampolinen, Lounge-Ecken, Bars, Tanzflächen. Die 138.700 Sonnenschirme und 252.800 Liegen entlang der 110 Kilometer langen Küste der Emilia-Romagna wirken trotz ihrer Masse oft nur noch wie Staffage. Dass auch am Strand in den luftigen Restaurants gutes Essen serviert wird, versteht sich. Die Emilia-Romagna ist die Heimat von Aceto-Balsamico, Parmaschinken, Mortadella, Parmesan und Piadina, einem kleinen, fladenähnlichen Brot, das in antiker Zeit eine Gabe für die Götter war. Während einer Hungersnot wurde es dann zum Armeleuteessen, heute gilt es als Delikatesse - zumal wenn es mit Squaquerone, dem quarkähnlichen Käse, gereicht wird.

Einfach nur am Strand liegen, das geht nicht mehr. "Wenn Sie entspannen wollen, dann müssen Sie das auf eine sehr aktive Weise tun", meint der Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz. Wie wenn der Wissenschaftler beratend zur Seite gestanden hätte, wird mit "1.000 Events zum Thema Body und Mind Wellness" aufgewartet, die "Rimini zum Erlebnis" machen. Und Rimini ist nur einer von zwölf Badeorten in der Emilia-Romagna, wenn auch mit 150.000 Einwohnern, 213.000 Gästebetten und 1.400 Hotels der größte. Die Hoteldichte ist nach Miami die weltweit höchste.

Körper und Seele in Einklang bringen, wenn jährlich zur Saison gut 4,5 Millionen Urlauber den Küstensaum fast zum Platzen bringen? "Manchmal läuft hier ein bisschen viel Musik", sagt ein Arzt aus Bologna, der in der Saison am Strand Shiatsu-Massagen gibt. Esoterikern oder Ruhesuchenden wird die Flucht aufs Meer geboten: Täglich in der Früh starten "Meditationsboote" ab Rimini und Riccione. Auf wankenden Schiffsplanken wird in sich gekehrt. Doch es kommt schon mal vor, dass erst gar nicht abgelegt wird, wenn sich nicht genügend Bezahlwillige anmelden.

Rimini in der Nachsaison Bild: dpa

Das Rundum-sorglos-Paket fürs anvisierte Wohlbefinden an den 22 Wellnessstränden ist dagegen in der Gebühr für die Liegen enthalten. 84 Euro nimmt Claudia pro Woche für einen Schirm und zwei Liegen. Damit fährt sie bei 500 Liegen zumindest im Kernmonat August, wenn ganz Italien Urlaub macht, ein respektables Salär ein. Ihr Arbeitstag dauert von 8.30 bis 24 Uhr. "Der Strandtag hat sich verlängert", sagt Claudia auf die Frage, was sich verändert habe in Rimini in den vergangenen Jahren. Ein bisschen ist sie selbst schuld, wenn sie keine Pause bekommt: Seit kurzer Zeit steht ein Gemeinschaftskühlschrank für die Gäste parat. Die italienische Gepflogenheit, sich zur Mittagszeit kollektiv für die wichtigste Sache der Welt vom Strand zurückzuziehen, erodiert zumindest an Claudias Bagno. Der Kühlschrank ist stets gut gefüllt.

Dino Crociati, ein Urgestein unter den Bagninos, beklagt ohnehin den Wandel. "Das klassische Strandbad stirbt aus", meint der Mann um die 60, der vor 40 Jahren den Bagno im nahen Örtchen Viserba von seinem Vater übernommen hat. Auch "Marina grande di Viserba" bezeichnet sich heute als Wellnessstrandbad und folgt damit dem Zeitgeist. Und der bringt nach Meinung des Dienstalten auch mit sich, dass die Jugend sich nichts mehr sagen lasse. Während er früher zwischen sieben und acht allmählich die Schirme zuklappte, geht der Arbeitstag heute bis in die Puppen. Loungen, chillen, Party nach erfolgreich praktizierter "Biogymnastik".

Aber es könnte alles noch ganz anders kommen: Denn Rimini plant, sich bald einer operativen Verjüngungskur zu unterziehen. Entwürfe der Londoner Stararchitekten Foster und Partners liegen auf dem Tisch, nach denen die ganze Promenade umgegraben werden soll. Auf über zwei Kilometern und mit einem Investitionsvolumen von über 200 Millionen Euro soll die "Requalifizierung der Küstenlinie Riminis" ab 2010 vonstatten gehen, sagt der stellvertretende Bürgermeister und Tourismusbeauftragte der Gemeinde Rimini, Maurizio Melucci. Aus "Umwelt- und Funktionalitätsaspekten" sei dies umumgänglich. Mit den Bürgern Riminis solle im laufenden Jahr noch über die Ausgestaltung der Vorhaben diskutiert werden, versichert er: "Bemerkenswert ist die Einigkeit, dass die ,Lungomare', wie sie heute existiert, unbedingt verändert werden muss."

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