Semesterbeginn: Die Elite packts nicht mehr

Noch nie gab es so viele Studienbewerber an den Hochschulen wie dieses Semester. Gleichzeitig steigen die Abbrecherquoten wegen zu hoher Arbeitsbelastung durch die neuen Studiengänge.

Auch der beste Dozent schafft es nicht, den Stoff von 14 Semestern in 6 beizubringen. Bild: AP

Zum Start des Wintersemesters am heutigen Montag freuen sich die Berliner Hochschulen über enormen Andrang: Noch nie haben sich so viele Abiturienten für die knapp 140.000 Studienplätze an den drei großen Universitäten Freie Universität (FU), Humboldt-Universität (HU) und Technische Universität (TU) beworben. Besonders beliebt sind naturwissenschaftliche und technische Studiengänge: An der TU stiegen die Bewerberzahlen im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent. Auch an der HU drängeln sich die Aspiranten: Beliebt sind vor allem Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaften.

Die Gründe für den Ansturm sind profan. "Wir haben eine geburtenstarke Kohorte, die jetzt an die Unis drängt", erklärt Anja Gadow vom freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs). Außerdem gehöre Berlin zu den wenigen Bundesländern, die keine Studiengebühren verlangen.

Doch auch die Zahl der Abbrecher steigt rapide: Denn die bundesweite Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen der Bologna-Reformen trifft Studienneulinge an großen Unis besonders hart. Laut einer "Untersuchung des Studienerfolgs von Studierenden der zum Wintersemester 2004/2005 neu eingerichteten Bachelorstudiengänge" an der FU brechen 37 Prozent der Bachelorstudenten ihr Studium in den ersten fünf Semestern ab - in den alten Magisterstudiengängen waren es nur etwa 10 Prozent.

In einzelnen Fächern ist die Bilanz besonders verheerend: Den Informatik-Bachelor brachen mehr als zwei Drittel der Studierenden ab - eine Verzehnfachung der Abbruchquote im Vergleich zum bisherigen Diplomstudiengang. "Die Umsetzung des Bologna-Prozesses an der Freien Universität ist gescheitert", resümiert denn auch der Allgemeine Studierenden Ausschuss (AStA) der FU.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Nils Becker, Sprecher des AStA der TU: "Viele schaffen es einfach nicht, so schnell zu studieren. Bisher brauchten Studierende an der TU durchschnittlich 14 Semester bis zum Abschluss, jetzt sollen sie in sechs fertig werden." Viele versuchten, sich dem engen Rahmenplan durch Studienplatzwechsel oder die Aufnahme einer Gasthörerschaft an anderen Unis zu entziehen. Ein Abbruch habe fast immer soziale Gründe, so Becker. Er fordert daher die Einführung eines Teilzeitstudiums, das es auch arbeitenden Studierenden ermöglicht, ihre Hochschulausbildung zu Ende zu führen.

Burkhard Seegers von der psychologischen Beratungsstelle des Studentenwerks sieht mit Sorge, welchen zeitlichen und psychischen Druck die neuen Kompaktstudiengänge erzeugen. Rund 1.300 Studierende kommen jedes Jahr zu ihm, in den letzten Jahren sei die Zahl der Hilfesuchenden um rund 20 Prozent gestiegen. "Wenn Sie für das Bestehen einer Prüfung nur zwei Versuche haben, können Sie sich eine Krankheit oder eine Beziehungskrise nicht leisten", sagt er. Mehrfachbelastungen wie ein Job zur Finanzierung des Lebensunterhalt oder ein Kind seien nicht vorgesehen. Die Folge: Versagensängste und psychische Probleme.

Umfangreiche Nachbesserungen an den Bachelor-Master-Reformen fordert auch die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen, Anja Schillhaneck: "Die Hochschulen müssen die Studiengänge komplett neu evaluieren, und zwar zusammen mit Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Verwaltungsangestellten und Studierenden." Es sei einfach keine Reform, "neun Semester Studium in sechs zu quetschen". Die Grünen fordern den Bildungssenat außerdem auf, die Hochschulen finanziell bei der Umsetzung der Reformen zu unterstützen.

Doch ob das passieren wird, ist mehr als fraglich. Bislang hat Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) den Unis nicht einmal eine längerfristige Finanzplanung garantiert. Um das aktuelle Studienangebot aufrechtzuerhalten, haben die Unipräsidenten einen Mehrbedarf von jährlich 160 Millionen Euro ab 2010 errechnet. Doch bislang wurde der aktuelle Hochschulvertrag, der den vier größten Unis Zuschüsse zusichert, nicht über 2009 hinaus verlängert. Im Haushaltsentwurf für 2010 ist der Mehrbedarf der Unis auch nicht eingeplant.

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