Bildungsgipfel von Bund und Ländern: Die Bildungsrepublik fällt aus

Am Schluss war der "Bildungsgipfel" zu einem "Qualifizierungsgipfel" geschrumpft. Statt den großen Wurf präsentierte Merkel nur Stückwerk.

Merkel und die Ministerpräsidenten? Da geht's weniger herzlich zu. Bild: dpa

Am Tag vor dem Bildungsgipfel wurde das Schild umlackiert. "Qualifizierungsgipfel Dresden" stand am Mittwoch auf dem weißen Banner, das in der Vorhalle des Konferenzraums hing. Ausdruck der tiefer gehängten Erwartungen an die Ergebnisse des Gipfels, die Angela Merkel nach ihrem Treffen mit den Ministerpräsidenten präsentierte.

Abhilfe bei der Benachteiligung von Kindern armer Eltern oder aus Migrantenfamilien sollte der Bildungsgipfel schaffen. Kernprobleme des Bildungssystems: Es produziert zu viele Abbrecher in Schulen, Lehre und Studium - und zu wenig Akademiker. Gleichzeitig wächst der Fachkräftemangel. Schulen wie Hochschulen haben zu wenig Geld. Dazu gab es in Vorverhandlungen bereits Vorschläge - Beschlüsse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Chancenungleichheit:

Wie in kaum einem anderen Industriestaat hängt in Deutschland Bildungserfolg von sozialer Herkunft ab. Die frühe Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schulformen verstärkt milieubedingte Benachteiligungen, die die vierjährige Grundschule nicht kompensieren kann.

Vorschlag: Ausbau der frühkindlichen Bildung und der Sprachförderung, verbindliche Sprachtests vor der Einschulung. Größere unionsgeführte Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen lehnen Veränderungender Schulstruktur ab. Dagegen wird in Hamburg die Grundschule auf sechs Jahre ausgeweitet. Schleswig-Holstein führt Regionalschulen mit erweiterten Abschlussmöglichkeiten ein. In Rheinland-Pfalz wird die Hauptschule in eine "Realschule plus" integriert.

Abbrecher: 80 000 Jugendliche - etwa acht Prozent eines Jahrganges - verlassen die Schule ohne Hauptschulabschluss. Etwa 15 Prozent der 21- bis 25-Jährigen haben keine Berufsausbildung - und damit kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Vorschlag: Individuelle Unterstützung von "Problemschülern" ab Klasse sieben mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit und Stützkurse in den Schulen. Verbindliche Einführung von Berufswahlorientierung, Lehrstellenhilfen für Altbewerber, Anspruch auf Förderung beim Nachholen von Schulabschlüssen.

Fachkräftemangel: Nach verschiedenen Prognosen werden schon ab 2014 zwischen 180 000 und 490 000 Akademiker fehlen - vor allem Ingenieure und Naturwissenschaftler.

Vorschlag: Erhöhung der Abiturienten- und Studienanfängerzahl, wobei die Quote strittig ist. Deutliche Senkung der Studienabbrecherzahl durch bessere Lehre und Betreuung der Studenten. Mehr Investitionen in den Ausbau von Studienplätzen und in die Qualität der Ausbildung. Zum Vergleich: 2006 erwarben in Deutschland 21,2 Prozent eines Altersjahrganges einen akademischen Abschluss. Im Schnitt der Industriestaaten sind dies 37,3 Prozent.

Bildungsfinanzierung: Entgegen dem Trend in anderen Industriestaaten ist in Deutschland der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesunken. Hochschulen und Schulen gelten seit Jahren als unterfinanziert.

Vorschlag: Der Bund will seine Bildungsausgaben erhöhen. Im Gegenzug sollen die Länder durch Schülerrückgang eingespartes Geld ausschließlich für Qualitätsverbesserungen in der Bildung nutzen. Einige unionsgeführte Länder wollen sich hierbei nicht festlegen. Die Länder fordern vom Bund einen höheren Anteil am Mehrwertsteueraufkommen, was dieser wiederum ablehnt.

Abhilfe bei der Benachteiligung von Kindern armer Eltern oder aus Migrantenfamilien sollte der Bildungsgipfel schaffen. Kernprobleme des Bildungssystems: Es produziert zu viele Abbrecher in Schulen, Lehre und Studium - und zu wenige Akademiker. Gleichzeitig wächst der Fachkräftemangel. Schulen wie Hochschulen haben zu wenig Geld.

Chancenungleichheit: Wie in kaum einem anderen Industriestaat hängt in Deutschland Bildungserfolg von sozialer Herkunft ab. Die frühe Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schulformen verstärkt milieubedingte Benachteiligungen, die die vierjährige Grundschule nicht kompensieren kann.

Abbrecher: 80 000 Jugendliche - etwa

8 Prozent eines Jahrganges - verlassen die Schule ohne Hauptschulabschluss. Etwa

15 Prozent der 21- bis 25-Jährigen haben keine Berufsausbildung - und damit kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Fachkräftemangel: Nach verschiedenen Prognosen werden schon ab 2014 zwischen 180.000 und 490.000 Akademiker fehlen - vor allem Ingenieure und Naturwissenschaftler.

Bildungsfinanzierung: Entgegen dem Trend in anderen Industriestaaten ist

in der Bundesrepublik Deutschland der

Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den vergangenen Jahren gesunken. Die Hochschulen und Schulen gelten seit Jahren als unterfinanziert.

Zweieinhalb Stunden hatte die Bundeskanzlerin Zeit, die widerspenstigen Ministerpräsidenten auf ihre Seite zu ziehen und konkrete Ziele zu vereinbaren. Merkel überredete sie dazu, die Zahl der Schulabbrecher nicht nur zu reduzieren, sondern bis 2015 tatsächlich zu halbieren. Gleichzeitig soll die Zahl der Jugendlichen, die ihre Ausbildung abbrechen, bis auf die Hälfte schrumpfen.

Bis 2015 wollen Bund und Länder 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung stecken und 3 Prozent für Forschung sowie 7 Prozent für Bildung festschreiben. Das wären 22 Milliarden Euro mehr. Strittig ist, wer sie bezahlt und aus welchen Quellen das Geld kommt.

Die Länder wollen konkreten Etatzielen nur zustimmen, wenn der Bund sich in der Schulsozialarbeit engagiert. Und so einigte man sich darauf, alle mit Kosten verbundenen Maßnahmen in eine "Strategiegruppe" auszulagern. Diese soll bis 2009 konkrete Beschlüsse ausarbeiten.

Damit bleibt das Gesicht der Kanzlerin gewahrt, die ansonsten sehr viel guten Willen demonstrierte. Dabei hatte sich Merkel Großes vorgenommen: "Wir wollen Bildungsrepublik werden", hatte sie im Juni gesagt. Wenn Deutschland den Wohlstand langfristig sichern wolle, führe an weiteren Bildungsreformen kein Weg vorbei. Ein bereits Monate zuvor geplantes Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder taufte sie flugs zum "Bildungsgipfel" um und suggerierte: Ich mache Bildung zur Chefsache und löse gemeinsam mit den Länderchefs die Probleme des deutschen Bildungssystems.

Gemessen an den Problemen - die von der Misere der Hauptschulen bis zum Fachkräftemangel reichen -, sind die von Merkel und den Ministerpräsidenten vereinbarten Maßnahmen eher Stückwerk denn Politik aus einem Guss. Der Tatsache, dass Migrantenkinder zu den Bildungsverlierern gehören, wollen die Länder mit verbindlicher Sprachförderung vor der Schule begegnen. Doch in der Schule bleibt Förderung Glückssache. Der Bund lehnte es ab, den Kommunen Geld bereitzustellen, damit jede Schule verbindlich einen Sozialarbeiter bekommt. Haupt- und Förderschülern will der Bund über die Arbeitsagenturen versuchsweise sogenannte Einstiegsbegleiter zur Seite stellen, die ihnen helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Die bereits beschlossene und im Haushalt eingestellte Ausbildungsumlage wurde gleichfalls in das Qualifizierungspaket aufgenommen. Betriebe sollen mit staatlichem Geld geködert werden, bevorzugt Jugendliche als Azubis einzustellen, die länger als ein Jahr auf einen solchen Platz warten.

Substanzielle Beschlüsse fassten Merkel und die Ministerpräsidenten zu den Studienplätzen: Bis 2015 sollen zusätzlich 275.000 Plätze an Unis und Hochschulen geschaffen und bezahlt werden. Wie und aus welchen Milieus diese zusätzlichen Studierenden gewonnen werden sollen, ließen die Teilnehmer des Bildungsgipfels allerdings offen.

Dabei hätten sich beide Seiten durchaus inspirieren lassen können. Vor dem Gipfel trafen Merkel und Bundesbildungsministerin Annette Schavan Kindergartenkinder, Schüler und Azubis zum Schülerdialog. In der inszenierten PR-Veranstaltung waren durchaus Zwischentöne vernehmbar: 34 Schüler im Spanischunterricht seien ganz und gar kein Spaß, auch die gräulichen Wände und das Geld über dem Mülleimer schafften kein gemütliches Lernklima. Ein Sofa im Klassenzimmer sollte genauso zur Schule gehören wie ein Swimmingpool auf dem Dach. Und wer in Mathe nicht mitkommt, soll in die Nachhilfestunde gehen dürfen, statt durch die Prüfung zu fallen. Eine Schule als Lebensraum also, die nicht ausgrenzt, sondern motiviert, wünscht man sich.

Die von Merkel beschworene "Bildungsrepublik" wird es in den nächsten Jahren so nicht geben. Dass Merkel als Bildungskanzlerin auf dem Treffen scheiterte, liegt zum einen an ihr selbst. Sie weckte hohe Erwartungen und blendete aus, dass Bildung vorrangig Ländersache ist. Was die Institution angeht, die wirklich jeder besuchen muss, die Schule nämlich, ist es dem Bund seit 2006 sogar verboten, mit den Ländern zusammenzuarbeiten.

Die Ministerpräsidenten der Länder sind denn auch nicht gewillt, sich von der Kanzlerin sagen zu lassen, dass in ihren Hoheitsgebieten nicht alles rundläuft. Gerade die Chefs der Unionsländer hielten die Erwartungen an ein gemeinsames Vorgehen klein. Von "goldenen Zügeln" orakelte Jürgen Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen im Vorfeld, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger machte klar, dass der Bund Schecks abliefern könne, aber keine Mitsprache beanspruchen dürfe. Und der Sachsen-Anhalter Wolfgang Böhmer wollte eigentlich nur nach Hause. "Ich erwarte, dass der Gipfel nach drei Stunden vorbei ist." Sein Wunsch ging in Erfüllung.

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