Montagsinterview Flughafenchef Rainer Schwarz: "Wir befriedigen das Bedürfnis nach Mobilität"

Wenn am Donnerstag in Tempelhof das letzte Flugzeug abhebt, macht Rainer Schwarz drei Kreuze. Mit der lange umstrittenen Schließung ist der mächtigste Mann der Berliner Flughäfen seinem Ziel ein gutes Stück näher - dem Single Airport Berlin Brandenburg International.

taz: Herr Schwarz, am Donnerstag gehen im Flughafen Tempelhof endgültig die Lichter aus. Sind Sie erleichtert?

Rainer Schwarz: Natürlich. Wir haben lange dafür gekämpft. Als Verantwortlicher für die Berliner Flughäfen muss ich mich von Emotionen frei machen. Rational betrachtet führt kein Weg an der Schließung vorbei. Das ist ein ganz wichtiger Schritt in Richtung auf den BBI, den künftigen Single Airport von Berlin.

Der nächste Flughafen, der zumacht, ist Tegel. Wann ist das soweit?

Tegel wird spätestens ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme des BBI geschlossen. Der BBI macht am 1. November 2011 auf.

1988 München, 1996 Nürnberg, 2001 Düsseldorf: Der BBI ist der vierte Airport, an dessen Bau Sie mitwirken. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Warum sollte ich das haben?

Fliegen schadet dem Klima. Mit dem Bau von Flughäfen tragen Sie dazu bei.

Der Ausbau von Schönefeld zum Großflughafen BBI (Berlin Brandenburg International) ist für Rainer Schwarz das interessanteste Projekt, das es in der Branche gibt. Darum zögerte der promovierte Betriebswirt nicht, als man ihm den Chefposten der Berliner Flughäfen im Juni 2006 anbot. Das Arbeitsfeld ist im deutschen Kontext einmalig. Es gibt keine andere Flughafengeschäftsführung, die drei Flughäfen - Tempelhof, Tegel (kleines Foto) und Schönefeld - gleichzeitig betreibt und noch dazu einen neuen Flughafen baut. Der BBI soll im November 2011 in Betrieb gehen.

Schwarz ist 51 Jahre alt. Er wurde in Essen geboren und studierte Betriebswirtschaftslehre. Als junger Mann beteiligte er sich an Demonstrationen für Demokratie und Freiheitsrechte und trampte durch die USA. Nach der Promotion ging er in die Luftfahrtbranche. 1988 baute er in München den Flughafen im Erdinger Moos mit. 1996 ging er nach Nürnberg, um dort den Airport auszubauen. 2001 wechselte er als Geschäftsführer zum Flughafen Düsseldorf, wieder um den Flughafen zu erweitern.

Schwarz ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Er wohnt in Potsdam. Die Fertigstellung des BBI vergleicht er mit einem Marathonlauf. Beim sogenannte Airport-Run - eine halbe Marathonstrecke rund um die BBI-Baustelle - ist er im Juni zum ersten Mal mitgelaufen.

Der Klimaeffekt des Fliegens ist bei weitem nicht so stark, wie gern behauptet wird.

Der Anteil des Flugverkehrs am globalen Treibhauseffekt beträgt laut entsprechenden Studien 9 Prozent.

Ich halte Studien für fundierter, die von einem Anteil von 4 bis 5 Prozent ausgehen.

Das ist immer noch schlimm.

Gut. Aber wir befriedigen das ureigenste Bedürfnis der Menschen nach Mobilität. Wenn das nicht so wäre, gäbe es in unserer Branche nicht diese Steigerungsraten. Insofern habe ich kein schlechtes Gewissen. Außerdem sind Flughäfen ein wichtiger Katalysator für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region. Der Münchner Flughafen im Erdinger Moos hat dort maßgeblich zum Aufschwung beigetragen. In Berlin ist noch erheblicher Nachholbedarf.

Müssen Sie sich nie für Ihren Job rechtfertigen?

Ehrlich gesagt, nein. Auch privat bin ich meistens mit Leuten zusammen, die dankbar für eine Infrastruktur sind, die sie schnellstens von A nach B bringt.

Wissen Sie, wie viel Kohlendioxid ein Mensch verursacht, wenn er zum Beispiel von Berlin nach Chile hin- und zurückfliegt?

Es scheint zunehmend in Mode zu kommen, entsprechende Kompensationsgutscheine zu kaufen.

Berlin-Chile-Berlin bedeutet 9.000 Kilogramm Kohlendioxidemission. Nachzulesen in einer Tabelle von Atmosfair, einer Organisation für Klimaschutz. Ein Inder verursacht im Jahr 900 Kilo Klimagase.

Ich kenne diese Bilanz nicht. Aber offensichtlich gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die trotzdem das Bedürfnis haben, nach Santiago zu fliegen.

Von ökologischem Wirtschaften halten Sie gar nichts?

Wir liefern einen nachhaltigen Beitrag zum ökologischen Ausgleich. Wir schließen in dichtestbesiedelten Räumen zwei Flughäfen. Wir entsiegeln gigantische Flächen und fokussieren das Geschehen auf einen Standort in einer Region, die bei weitem nicht so dicht besiedelt ist, wie das in Tegel oder Tempelhof der Fall ist. Das heißt, wir entlasten eine Vielzahl von Menschen nicht nur von den Schadstoffen, sondern auch von den Lärmemissionen. Dazu kommt, dass wir für den Neubau des BBI eine Vielzahl ökologischer Ausgleichsmaßnahmen leisten.

Was sind das für Maßnahmen?

Für jeden Baum, den wir fällen, forsten wir drei bis fünf neue auf. Die Renaturierung der Zülow-Niederung ist sichtbar fortgeschritten.

Sie sprechen von dem 2.600 Hektar großen Gelände, 25 Kilometer südlich vom BBI?

Ja. Insgesamt stellen wir 170 Millionen Euro für das Lärmschutzprogramm, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie eine Ausgleichsabgabe für den Brandenburgischen Naturschutzfonds zur Verfügung. Der Großteil wird für den Einbau von Schallschutzfenstern und Lüftungseinrichtungen in den Wohnhäusern um den BBI verwendet.

Wie halten Sie es eigentlich persönlich mit dem Fliegen?

Bei den Distanzen, die ich zurückzulegen habe, fliege ich in der Regel.

Wie reagiert das Personal, wenn der Flughafenchef eincheckt?

Ich gehöre nicht zu der Sorte Manager, die Wert auf eine VIP-Abfertigung legen. An den meisten Flughäfen gibt es für Minister und Unternehmensführer eigene Lounges. Dort wird einem der Koffer abgenommen und die Bordkarte geholt. Man nimmt einen Drink und wird mit dem Privatwagen zum Flugzeug gefahren. Ich habe das in meiner Laufbahn nie gemacht. Ich checke ein wie jeder normale Passagier.

Sie fliegen also inkognito?

Ich fliege nicht unter falschem Namen. Aber dadurch, dass ich normal abgefertigt werde, kann ich feststellen, wie die Servicekette funktioniert und ob es bei der Sicherheitskontrolle hapert. Das ist viel authentischer, als nur auf Beschwerdebriefe zu reagieren.

Werden Sie in solchen Fällen laut?

Ich kann in der Tat etwas ungehalten werden.

Sie haben in Berlin Betriebswirtschaftslehre studiert. Wie sind Sie gerade auf Flughäfen gekommen?

Mit einer betriebswirtschaftlichen Promotion stand einem damals noch die Welt offen. 1988 hat mich mein damaliger Doktorvater nach München zum Flughafen geschickt. Dort ging es um den Bau eines neuen Airports - ähnlich wie hier. Die Münchner hatten nach einer intellektuellen Auffrischung gesucht. Der Chef dort hat mich gleich ins Auto gesetzt, ist mit mir ins Erdinger Moos gefahren und hat mir die Pläne erläutert. Das hat mich fasziniert. 1992 ist der Flughafen in Betrieb gegangen. So bin ich in der Branche hängen geblieben.

Auch über den Flughafen im Erdinger Moos hat es große Umweltdiskussionen gegeben.

Die Diskussionen waren teilweise völlig an den Haaren herbeigezogen. Dem Erdinger Moos sagte man unzumutbare Nebellagen nach, die einen Flugverkehr faktisch unmöglich machen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Der Flughafen hat im europäischen Luftverkehr eine der höchsten Pünktlichkeitsraten.

Halten Sie Leute, die auf die negativen Folgen des Fliegens hinweisen, für Spinner?

Nein. Diese Hinweise werden ja auch aufgegriffen - wenn man einmal sieht, was in der Industrie in den letzten zehn Jahren passiert ist an Verbesserung der Triebwerkstechnik. Übrigens sehr stark unterstützt durch die Flughäfen, die Anreizsysteme geschaffen haben.

Das umweltfreundliche Flugzeug ist noch nicht entwickelt.

Das Flugzeug ist das Verkehrsmittel mit den besten Verbrauchswerten …

hat von allen Verkehrsmitteln aber die schlechteste Klimabilanz.

Ich spreche von den Verbrauchswerten. Die haben sich enorm verbessert. Das Flugzeug hat bessere Werte als Bahn und Auto. Sie verbrauchen im Flugzeug pro 100 Kilometer weniger als drei Liter pro Kopf. Man muss aber auch sagen, die Form der Proteste wird allmählich zu einem erheblichen Standortnachteil.

Wie meinen Sie das?

Man muss sich mal vor Augen führen, wie lange wir in Deutschland brauchen, um bestimmte Projekte zu realisieren. Allein die ganzen Genehmigungsverfahren und Rechtsstreitigkeiten über den BBI haben über zehn Jahre gedauert. Beim Münchner Flughafen im Erdinger Moos sind sogar über 30 Jahre von der Idee bis zur Eröffnung vergangen. Man muss sich nicht an China oder den Emiraten orientieren, wo ein dirigistisches System vorgibt, wie die Dinge zu laufen haben. Es reicht, nach Spanien zu gucken. Dort dauert das, was wir jetzt am BBI machen, von der Idee bis zur Fertigstellung fünf Jahre.

Hinter Ihren Worten steckt das Denken "Immer größer, schneller und weiter". Ist für Sie irgendwo auch mal Ende?

Das entscheiden wir ja nicht. Das entscheiden unsere Kunden. Alle Prognosen gehen davon aus, dass es weiter Wachstumsraten von 3 bis 5 Prozent geben wird. Für Berlin sind bis 2023 mindestens 30 Millionen Passagiere vorausgesagt.

Finanzkrise und Rezessionsangst haben den Trend schon beeinflusst. Es kommen weniger Touristen nach Berlin. Auch die Billigflieger verzeichnen einen Umsatzrückgang.

Die Luftfahrt bleibt davon natürlich nicht ausgespart. Die Verkehrsindustrie ist eine sehr zyklische Industrie. Bei Wirtschaftskrisen leiden wir überproportional. Das war 1991 beim Irakkrieg so und nach dem 11. September 2001. Dafür wachsen wir in Wachstumsphasen - wenn es wieder aufwärtsgeht - auch überproportional. Ich weiß nicht, warum es diesmal anders sein sollte.

Heißt das, der BBI wird in absehbarer Zeit zu klein sein?

Nein, wir sind in der komfortablen Situation, dass die entscheidenden Positionen des Flughafens so eingerichtet sind, dass wir 40 bis 45 Millionen Passagiere abwickeln können, also doppelt so viel wie im Augenblick. Alles andere bauen wir bedarfsgerecht. Wir machen keine teuere Vorratsinvestition.

Fühlen Sie sich als Manager eigentlich ausreichend entlohnt?

Die Begrenzung, die jetzt für den Bankenbereich diskutiert wird …

500.000 Euro als Obergrenze …

… schockt mich nicht. Das sind für mich irrelevante Summen. Die finanzielle Entlohnung ist für mich aber nur ein Teil der Entlohnung. Es verschafft mir persönliche Genugtuung, wenn das Projekt vorankommt.

Im Sommer waren Sie in Asien Klinken putzen. Wofür werben Sie auf solchen Reisen?

Wir haben jetzt acht Fernstrecken, die von Berlin aus angeflogen werden. Vier davon sind Hauptstrecken: New York, Doha, Bangkok und Peking. Wir versuchen, den Airlines schmackhaft zu machen, worin die Marktchancen bestehen, wenn sie Berlin anfliegen. Aber ich bin kein Wachstumsfetischist. Mein Ziel ist es auch, Verbindungen zu Städten zu bekommen, die es anderswo nicht gibt: Tiflis, Minsk, Sofia. Wir empfinden uns da schon in einer Gateway-Position, als Schnittstelle zwischen Ost und West.

Sie haben sich mal darüber beschwert, der BBI würde immer schlechtgeredet. Wen meinten Sie damit?

Das zielt nicht auf die Politik, die steht wirklich wie ein Mann hinter dem BBI - quer durch alle Parteien. Selbst bei den Grünen ist im Kern unstrittig, den BBI zu bauen. Mir geht es um die kleinteilige Kritik einzelner Medien und Institutionen an dem Projekt. Das bin ich aus anderen Regionen nicht gewöhnt.

Ärgert Sie das?

Mit der Zeit wird man schmerzfrei. Das Schöne an Berlin ist: Hier wird jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Daraus entwickelt sich eine gewisse Beliebigkeit.

Ist das wirklich berlinspezifisch?

Mir hat mal jemand erzählt, das größte Lob, das ein Berliner aussprechen kann, ist, wenn er sagt: Da kann man nicht meckern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.