: Seelenvoller Ausdruck
Berlin war ja schon allerhand: Reichshauptstadt und Mauerstadt, Feiermetropole und Zentralstelle für elektronische Musik. Aber eine Soul-Hochburg, das war Berlin bislang nicht. Nun aber kommen von hier zwei Stimmen, denen zuzutrauen ist, das hierzulande zuletzt etwas brachliegende Genre neu beleben zu können: Astrid North und Leslie Clio, Veteranin die eine, Newcomerin die andere.
Die gebürtige Berlinerin Astrid North hat nicht nur viel Zeit beim amerikanischen Zweig ihrer Familie in Houston verbracht, sondern als Sängerin der Cultural Pearls schon reichlich Erfahrung im seelenvollen Ausdruck gesammelt. Für ihr schlicht „North“ betiteltes Solo-Debüt hat sie die Jazz-Anwandlungen, die ihre alte Band bisweilen befielen, zu den Akten gelegt und stattdessen neue Musiker rekrutiert, die nun allerdings bisweilen zu gut wissen, wie man zünftigen Mainstream-Rock inszeniert. Da kreischen die Gitarren in „How Beautiful You Are“, als wäre es wieder 1975. Auch ansonsten wird hier nicht eben die Zukunft erfunden, aber dafür sehr solide ein paar Konventionen wieder aufgefrischt. „Lightning“ ist eine herzerweichende Ballade, in der North ihre Vokalakrobatik gerade so zügelt, dass der Kitsch keine Chance bekommt. Und in „Impossibilities“ beweist die 39-Jährige, dass auch im Soul weniger mitunter doch mehr ist: Wie North geradezu altersweise ein eher zur Belanglosigkeit neigendes Lied mit zweckmäßigem, aber stilsicher gesetzten Tönen zu erstaunlicher Größe singt, das kann man sich schon mal anhören.
13 Jahre jünger als North ist Leslie Clio, was ihr im Vergleich automatisch die Rolle als Hoffnungsträgerin beschert. Das Klangbild ihres ersten Albums, „Gladys“, allerdings weist noch weiter zurück in die Vergangenheit. Überaus geschickt hat Produzent Nikolai Potthoff, sonst Gitarrist der Thees-Uhlmann-Band, jenen Sound aus den frühen sechziger Jahren nachgestellt, mit dem dem Motown Label der Crossover zu einem weißen Publikum gelang. Wer jetzt an Namen wie Amy Winehouse, Duffy oder Adele denken muss, der hat vollkommen recht: Genau auf diesen Retro-Soul-Rumpelzug setzt auch Clio. Aber die Hamburgerin, die seit 2010 in Berlin lebt, tut das so geschickt und mit ausreichend Stimmumfang, dass sie nicht abstürzt beim Sprung auf den fahrenden Waggon. THOMAS WINKLER
■ Astrid North: „North“ (Astrid North Records/ Warner), live am 12. 2. im Bi Nuu
■ Leslie Clio: „Gladys“ (Vertigo Berlin/Universal)