Musikszene Berlin: Die Achse des House

Drei Berliner House-Projekte im Porträt: Bei Luomo pflegt man den atomisierten Gesang, Lee Jones setzt auf Kiez-Distinktion, Deadbeat denkt lieber transatlantisch.

Tanzbare Musik kann heute jeder bei sich zu House machen. Bild: ap

Luomo: "Convivial" (Huume): Kollaborationen in Hall

Sasu Ripatti, besser bekannt als Vladislav Delay, hat mit seinem Projekt Luomo House-Geschichte geschrieben. Sein zur Jahrtausendwende erschienenes Album "Vocalcity" verpasste dem Genre einen völlig neuen Dreh, der nur auf den ersten Eindruck mit Reduktion zu tun hatte, bei näherem Hinhören jedoch einen Kosmos aus verhallten Klängen, Stimmenfragmenten und unerwarteten Rhythmen auffächerte. Seither muss der Finne, der in Berlin lebt, bei jedem neuen Album Vergleiche mit seinem House-Klassiker ertragen.

Vielleicht genügt es, darauf hinzuweisen, dass "Convivial" völlig anders klingt. Es ist so vielfältig ausgefallen wie die Liste der Gastsänger, mit denen Ripatti zusammenarbeitet. Die Hall-Effekte und die metallischen Synthesizer-Akkorde mit der typischen Luomo-Anschwellzeit sind immer noch da, doch diesmal ist der Einfluss der einzelnen Sänger, denen Ripatti viel Freiraum und Mitspracherecht ließ, deutlich zu merken.

Bei Robert Owens, der Über-Stimme des House, herrscht atomisierter Gesang vor, zusammen mit Sascha Rang alias Apparat liefert Ripatti einen nostalgischen Elektropopsong ab. Die größte Überraschung ist aber "If I Cant", eine Zusammenarbeit mit Jake Shears von den Scissor Sisters, die sich ganz ohne Extravaganzen in den Luomo-Sound einfühlt. So emotional wie auf "Convivial" war Ripatti selten.

Lee Jones: "Electronic Frank" (Aus Music): Die Wärme im Detail

"All tracks produced by Lee Jones in Kreuzberg, Berlin" informiert das Cover von Jones Solo-Debüt "Electronic Frank". Das Distinktionsgebaren um die Welthauptstadt der elektronischen Musik ist tatsächlich schon so fortgeschritten, dass man guten Gewissens sagen kann, die Szene konzentriere sich in Kreuzberg.

Dabei ist Jones ein exzellenter Produzent, der auf regionale Zuschreibungen als Rückversicherung locker verzichten könnte. In den Neunzigern als Hefner für seine Downbeat-Produktionen bekannt geworden, machte sich der Engländer nach seinem Umzug an die Spree im Jahr 2002 einen Namen mit dem in Berlin gegründeten Trio MyMy. Solo konzentriert er sich auf House-Musik langsamerer Gangart. Melancholische Anklänge finden sich in seinen Stücken völlig gleichberechtigt neben kleinen Albernheiten. Die abwegigsten Details versteht er so elegant einzubetten, dass man sich nach mehrmaligem Hören kaum noch wundert über kurze Jauchzer am Rande oder unvermittelt auftauchende Flöten. Jones Humor lässt sich nicht zuletzt an seinen Titeln ablesen: "MDMAzing", mit dem das Album schließt, ist ein behutsam euphorisierender Amphetamin-Cocktail mit Sogwirkung auch bei nüchternem Hörgenuss. Selbst eingetrübte Stimmungen klingen bei Jones nach leuchtender Wärme. Eine schöne Platte.

Deadbeat: "Roots and Wire" (Wagon Repair): Transatlantische Swap-Geschäfte

Musikalischer Austausch mal anders: Bisher ließ der Kanadier Scott Monteith die Musik seines Projekts Deadbeat beim Berliner Label ~scape veröffentlichen. Nun ist er von Montreal in die deutsche Hauptstadt gezogen, sein aktuelles Album erscheint dafür bei Wagon Repair in Vancouver.

Der Deal ging gut, "Roots and Wire" ist erstklassige Ware. Nach seinem bunten "Journeymans Annual" aus dem vergangenen Jahr präsentiert er sich diesmal sehr geschlossen, so geschickt spannt er seine nach wie vor deutlich hörbaren diversen Einflüsse zum großen Bogen. Die Hauptzutaten seiner Musik sind Dub-Elemente, holzartig hämmernde Ragga-Rhythmen, Ambient und vielleicht mehr als zuvor auch House. Fast könnte man meinen, Monteiths Album sei eine Hommage an Rhythm & Sound, die Berliner Großmeister des Dub-Techno. Nicht nur lässt der Reggae-Groove bei Deadbeat häufig Anklänge an das legendäre Duo erkennen, für zwei Stücke hat er sogar Paul St. Hilaire verpflichtet, einen traditionellen Reggae-Sänger, bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Rhythm & Sound. Der Rest des Albums bleibt instrumental, nur einmal erfahren wir von der gesampelten Stimme des Dub-Poeten Linton Kwesi Johnson etwas über den Dub als "Tiefenstruktur" des Reggae. Zum Driften des Hall-Geflechts gehört bei Deadbeats Produktionen stets das Treibende seiner pochenden Rhythmen.

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