: Der Rock als Röhre und Schrotflintenziel: Debütalben von Saint Lu und Elyjah
Ach ja, die gute alte Rockmusik. Sie müht sich und ächzt und rackert, aber je doller sie schuftet, desto verlorener wirkt sie. Die guten alte Werte, also harte Arbeit und authentische Gefühle, die wirken heutzutage eben allzu arg aus der Zeit gefallen. Wo das enden kann, führt Saint Lu vor. Die ist das, was man gemeinhin so eine Rockröhre nennt. Ein Modell, dass alle paar Jahre wieder mal auf viel zu hohen Absätzen über die großen Bühnen stakst und dann Tina Turner sein soll, das aber, wie in diesem Fall, nachgestellt von einer Österreicherin, die eigentlich Luise Gruber heißt, nicht einer gewissen Komik entbehrt.
Denn Frau Gruber, die vor einigen Jahren in einer in ihrer Heimat beliebten Casting-Show bereits früh ausschied, knödelt und quietscht und juchzt und jodelt auf ihrem Debütalbum, dass einem ganz Angst und Bange wird. Nicht nur um die malträtierten Stimmbänder, sondern auch um den Gefühlshaushalt der Interpretin. Schließlich werden über einem so grundsoliden wie bräsigen Bluesrock hier Emotionen so demonstrativ durchdekliniert, dass sie nur mehr als Karikatur ihrer selbst enden. Natürlich hat die seit 2007 in Berlin lebende Sängerin gewaltige stimmliche Möglichkeiten, die durchaus geschätzte Kollegen schon zu der Einschätzung haben kommen lassen, es handele sich bei Frau Gruber um eine „Alpen-Anastacia“. Diese technischen Fertigkeiten aber werden so akademisch zur sinnentleerten Selbstentäußerung eingesetzt, dass man sich gar nicht trauen mag, die offensichtlichen Vorbilder Janis Joplin oder Joss Stone mit Vergleichen zu behelligen.
Nein, so funktioniert Rockmusik eben nicht mehr, da wird sie zu Tod genudelt. Warum also, haben sich Elyjah wohl gedacht, den Leichnam nicht gleich noch einmal erschießen? Und das hat das Berliner Trio wortwörtlich gemeint: Um die Verpackungen ihres Debütalbums „Planet, Planet“ künstlerisch aufzuwerten, haben sie die dicken Papp-Büchlein eigenhändig mit Flinten beschossen. Nun rieselt nach dem Entfernen des Zellophans Schrot aus den CDs und macht jede einzelne zum Unikat. Überraschenderweise ist die Musik, die sich in dieser bestechenden, äh, todschicken Marketing-Idee verbirgt, auch nicht viel schlechter: Großer, ausladender Gitarrenrock, der souverän spielt mit Laut-Leise-Kontrasten und sich, wenn auch bisweilen überdeutlich in der Tradition der Smashing Pumpkins stehend, geschickt allen weiteren Schubladisierungsversuchen entzieht.
Mit unglaublicher Seelenruhe schreiten Elyjah das Spektrum von der romantischen Ballade bis zum atonalen Experiment ab, ohne auf diesem erstaunlich weiten Weg zu verunglücken. Dabei entstehen mal Songs, mal aber auch schier endlose Improvisationen, potenzielle Hits ebenso wie avantgardistische Versuche. Im letzter Konsequenz ist das, klar, auch Rockmusik. Aber halt eine, die sich ihrer Einflüsse bewusst ist und Klischees dann dekonstruiert, wenn es nötig ist, anstatt sie einfach naiv zu rekonstruieren. Das klingt bei Elyjah mitunter auch nach harter Arbeit, aber die lohnt sich wenigstens. THOMAS WINKLER
■ Saint Lu: „Saint Lu“ (Warner)
■ Elyjah: „Planet, Planet“ (Klimbim/Cargo)