Debatte Datenschutz: Wer darf meine Dateien lesen?

Am Mittwoch werden die Rechte des BKA - etwa zur Onlinedurchsuchung - erweitert. Doch die Schlacht um die Festplatten privater Computer hat gerade erst begonnen.

Alle denken, Wolfgang Schäuble sei der schärfste Innenminister aller Zeiten. Aber außer einigen missverständlichen Äußerungen in Interviews hat er in Sachen innerer Sicherheit noch nicht viel zu Wege gebracht. Bundeswehr im Innern? Gerade ist die geplante Grundgesetzänderung schon im Ansatz gescheitert. Biometrische Reisepässe? Das war sein Vorgänger Otto Schily (SPD). Vorratsdatenspeicherung? Dafür ist Justizministerin Zypries (SPD) verantwortlich.

Umso wichtiger für Schäuble, dass jetzt wenigstens das Bundeskriminalamt, das ihm untersteht, neue Befugnisse erhält - heimlichen Zugriff auf Computerfestplatten inklusive. Am Mittwoch soll der Bundestag das entsprechende Gesetz beschließen. Und insgeheim wird sich Schäuble wohl freuen, wenn die notorischen Negativ-Claqueure sein Profil schärfen, indem sie das Gesetz mit Polemik überziehen: "Überwachungsmonster", "neuer Geheimdienst", "allmächtige Bundespolizei". Viel Feind, viel Ehr, das gilt auch hier.

Auf den ersten Blick ist die Neuerung beträchtlich: Bisher war das Bundeskriminalamt nur zur Verfolgung bereits begangener Taten zuständig, jetzt soll es auch künftige Terroranschläge verhindern. 2006 wurde dafür eigens das Grundgesetz geändert. Wer sich allerdings an die RAF-Zeiten erinnert, weiß, dass Terrorabwehr für das BKA kein Neuland ist. Schon damals wurde schließlich weit im Vorfeld konkreter Taten wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" ermittelt. Das heißt: Das Strafrecht reichte auch zur Prävention aus.

Dieser Mechanismus läuft bei islamistischen Terroristen jetzt zwar leer, weil sie sich nicht in festen Gruppen à la RAF, sondern eher in losen Netzwerken organisieren. Genau deshalb will Justizministerin Zypries diese Lücke schließen und auch das "Vorbereiten einer Straftat" durch Einzeltäter und lose Gruppen unter Strafe stellen. Strafbar würde dann zum Beispiel der Besuch von Ausbildungslagern, zuständig für die Ermittlungen wäre aber wie bisher das BKA. So gesehen ist es eigentlich überflüssig, dem BKA auch noch präventive Befugnisse zu geben.

BKA-Chef Jörg Ziercke zufolge sind präventive BKA-Befugnisse nötig, um Warnungen von ausländischen Polizei- und Geheimdienststellen sofort überprüfen zu können, ohne erst das zuständige Landeskriminalamt finden und fragen zu müssen. Das geschehe bislang etwa fünfmal pro Jahr, so Ziercke. Und dafür sollen jetzt 24 neue Paragrafen ins BKA-Gesetz eingefügt werden? Das ist ja lächerlich, denn bisher haben die Absprachen zwischen Bundes- und Landeskriminalämtern doch geklappt. Und auch in Zukunft sind Absprachen erforderlich, um Doppelarbeit zu vermeiden - gerade bei langwierigen Operationen.

So unnötig die BKA-Reform also ist, so übertrieben erscheint die Aufregung der Kritiker. Die Polizei in den Ländern hatte schließlich schon immer beide Aufgaben - Strafverfolgung und Gefahrenabwehr -, und sie hat die präventiven Befugnisse auch genutzt. So wurden im September auf dem Kölner Flughafen zwei Islamisten aus ihrem Urlaubsjet geholt, weil ein Abschiedsbrief überinterpretiert wurde. Zuständig war das präventiv handelnde Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen.

Spähangriff, Lauschangriff, Rasterfahndung - all diese Befugnisse finden sich längst schon in den Polizeigesetzen der Länder. Manche glauben zwar, dass das besser ausgestattete BKA von solchen Ermächtigungen häufiger Gebrauch machen wird als die Landespolizeien, doch sie übersehen etwas Entscheidendes: Während die Landespolizei für die Abwehr aller Straftaten zuständig ist, soll das BKA nur den internationalen Terrorismus abwehren. Und das ist ein verdammt kleiner Ausschnitt der gesamten Kriminalität: eine Szene, der in Deutschland maximal einige hundert Menschen zuzuordnen sind. Und diese Einschränkung kann auch nicht einfach nächstes Jahr erweitert werden, denn sie steht im Grundgesetz. Statt die angebliche Schrankenlosigkeit des BKA zu beklagen, sollte in der Debatte besser auf diese Einschränkung verwiesen werden. Denn nur, wenn der Öffentlichkeit die Grenzen bewusst sind, kann ihre Verletzung, wenn nötig, auch skandalisiert werden.

Neu an der BKA-Novelle ist vor allem die Onlinedurchsuchung von Computern. Doch gerade an diesem Punkt ist deutlich zu sehen, wie die Fixierung auf das BKA-Gesetz den Blick auf gefährlichere und praktisch vermutlich wichtigere Entwicklungen verstellt. Wer hat schon mitbekommen, dass die bayerische Polizei und der bayerische Verfassungsschutz seit September ebenfalls heimlich auf Computer zugreifen dürfen? Wenn sich in Bayern eine Gefahr andeutet, ist der Zugriff sogar in ganz Deutschland möglich. Und hier geht es nicht nur um Terrorgefahren, sondern zum Beispiel auch um Sexual-, Drogen- und Verkehrsdelikte. Dabei kann die Polizei die Daten von privaten Festplatten nicht nur kopieren, sondern auch löschen und sogar manipulieren. Was beim BKA-Gesetz für einen Riesenaufschrei gesorgt hätte, wurde in Bayern mehr oder weniger achselzuckend hingenommen.

Selbst die bayerische FDP (unter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger!) hat im Koalitionsvertrag nur durchgesetzt, dass vor einer Onlinedurchsuchung nicht mehr in Wohnungen eingebrochen werden darf, um den Computer zu präparieren. Wenn das bayerische Gesetz so fahrlässig ignoriert wird, ist zu befürchten, dass andere Länder dem Vorreiter bald folgen werden. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert bereits, die heimliche Computerausspähung solle bundesweit als "Standardmaßnahme" bei der Strafverfolgung eingeführt werden. Die eigentliche Schlacht um die Computerfestplatten beginnt also erst.

Diese Auseinandersetzung sollte nicht nur defensiv geführt werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat gerade ein neues Computer-Grundrecht erfunden, das für den heimlichen Zugriff auf Festplatten hohe Hürden festlegt. Warum wird es nicht mutiger aufgegriffen und zum Beispiel auch bei der offenen Beschlagnahmung von Computern reklamiert? Zehntausendfach nehmen Ermittler bei Hausdurchsuchungen Laptops mit oder kopieren Festplatten. Auch hier hat die Polizei vollen Zugriff auf das "ausgelagerte Gedächtnis" von Menschen; auch hier kann sie anhand einer Vielzahl von Dateien die Persönlichkeit eines Menschen rekonstruieren. Nicht allein die Vorstellung, dass die Polizei heimlich seine Dateien mitlesen könnte, verunsichert Computernutzer, sondern auch, dass Ermittler morgen unangemeldet den Rechner abholen könnten. Der Selbstschutz wird bei einer überraschenden Hausdurchsuchung genauso ausgehebelt wie beim verdeckten Zugriff via Internet.

Wenn Karlsruhe das neue Computer-Grundrecht nur gegen die heimliche Überwachung von Festplatten einräumt, ist das halbherzig und unlogisch. Falls das Grundrecht auf Datenschutz je im Grundgesetz verankert wird, sollte diese Fehlkonstruktion dringend korrigiert werden.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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