Abschied von „Mama Africa“

Von Miriam Makeba bleibt nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein politisches Erbe: Mit einer gigantischen Trauerfeier und mit zahlreichen Prominenten wurde die verstorbene Sängerin am Samstag in Johannesburg verabschiedet

Ihr Leben: Miriam Makeba wurde 1932 in Johannesburg geboren und starb am 10. November 2008 bei einem Konzertauftritt in Italien. Insgesamt war sie fünfmal verheiratet, unter anderem mit dem Black-Panther-Führer Stokely Carmichael. Ihre Musik: Mit 21 begann sie als Sänger bei den „Manhattan Brothers“, Südafrikas bekanntester Band der Fünfzigerjahre. Sie mischten den Sound amerikanischer Musik mit Ragtime, Jive, Swing, afrikanischen Chorälen und Zulu-Rhythmen. 1956 formte sie die Frauenband Skylarks, mit denen sie mehr als 100 Stücke aufnahm. Makeba bekam die Titelrolle im Jazzmusical „King Kong“ 1959, das auch in London berühmt wurde. Dort traf sie Harry Belafonte, er half ihr in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, nachdem ihr die südafrikanische Regierung 1960 die Einreise verbot, erst 1990 kehrte sie in ihre Heimat zurück. In den USA wurde sie ein Weltstar, unter anderem mit den Hits „Pata-Pata“ und dem tansanischen Stück „Malaika“. Mit Belafonte zusammen erhielt sie den Grammy als erste schwarze Künstlerin. Sie produzierte mehr als 30 Alben in neun Sprachen.

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

„Sie war wundervoll!“ Ethel Mabasa beginnt leise, ihr Lieblingslied zu singen: Sophiatown is gone. „Dieses Stück von Miriam Makeba über die Zwangsräumung des kulturell blühenden Wohnviertels in den Fünfzigerjahren haben wir oft laut in unserem Haus gespielt, damals, als es noch Schallplatten gab“, lächelt sie. „Die Nachbarn klopften häufig an die Tür und warnten uns, denn diese Musik war von der Regierung verboten und wir hätten ins Gefängnis gehen können.“ Nun bleibe nur noch ihre Stimme. Aber die 60-jährige Südafrikanerin ist froh, dass ihr Idol auf einer Bühne starb, während sie das tat, was sie am besten konnte: singen.

Mabasa reiste mit ihrer Tochter und Nachbarn früh morgens aus Rustenburg an, um von der Diva Abschied zu nehmen. Unter der gewaltigen Kuppel des Coca-Cola-Domes, einer Konzerthalle außerhalb Johannesburgs, haben sich rund 2.000 Trauergäste versammelt. Zum letzten Mal tritt der respektvoll als „Mama Africa“ verehrte Star auf und singt in historischen Aufnahmen von den bedeutendsten Bühnen der Welt, übertragen auf hohen Leinwänden zu ihrem treuen Publikum.

Ihr Tod ist für Mabasas Tochter Vicky ein Aufruf, ihrer Botschaft für ein freies Südafrika gerecht zu werden. „Ja, die Legende ist abgetreten, aber sie hat für uns im Exil gelitten“, meint die junge Mutter. „Das ist traurig, aber auch ermutigend. Wir müssen stärker für unsere Demokratie arbeiten und Konflikte überwinden“, spielt sie auf die jüngsten politischen Entwicklungen und Machtstreitigkeiten in der ehemalige Befreiungsbewegung und jetzigen Regierungspartei des Afrikanischen Nationalkongresses im Land an. Sie wird den ANC auch weiter wählen. Und auch ihre Kinder werden im Hause Mabasa an die Texte in ihren Songs erinnert, mit der Miriam Makeba in den mehr als fünfzig Jahren ihrer herausragenden Karriere Rassentrennung angeprangert, die Freilassung Nelson Mandelas gefordert hat und für Südafrikas Antiapartheidskampf eingetreten ist.

31 Jahre verbrachte Miriam Makeba in vielen Ländern der Welt, reiste mit zehn verschiedenen Pässen, die ihr in großzügiger Anerkennung in Gastländern ausgestellt wurden, da Südafrikas weißes Minderheitenregime ihr die Einreise verweigerte und ihren Pass als ungültig abstempelte. Und sang in neun Sprachen. „Sie war ein Weltbürger“, sagte ihr Großenkel Nelson Lumumba Lee am Rande der Gedächtnisfeier, Sohn ihrer einzigen, früh verstorbenen Tochter Bongi. „Sie hatte gewollt, dass sie sofort eingeäschert wird.“ Aber für ihn war es Pflicht, sie nach dem plötzlichen Tod in Italien zunächst nach Hause zu bringen: „Sie gehört der Nation.“ Ihre Asche soll im Indischen Ozean verstreut werden, damit die Wellen sie in die Länder tragen, in denen sie gelebt hat.

Für den Großenkel war Makeba die Mutter, die mit ihrer Wärme vereinnahmte. „Das Herausragendste ist, dass sie ihre Identität als Afrikanerin gewahrt hat und mit ihrer natürlichen Schönheit und ihrem eigenen Stil avantgardistisch ihrer Zeit voraus war.“ So war sie von der Musik Ella Fitzgeralds beeinflusst, aber behielt afrikanischen Township-Jazz und traditionelle Marabi-Klänge bei. Die Jugend nehme das auf, aber anders, meint Lee, der als Musiker mit Makeba tourte. Die Welt ändere sich und mit ihr die Kultur und Kunst.

„Ihre Musik wird niemals aussterben. Sie wird uns bodenständig halten“ stimmt Somizi Mhlongo zu, Choreograf des am Broadway erfolgreichen südafrikanischen Musicals „Sarafina“, in dem er auch tanzte und Makeba spielte. Junge Sängerinnen wie Lyra, Zamajobe und auch Simphiwe Dana knüpfen an ihre Musik an und verarbeiten sie auch international erfolgreich auf ihre Weise. Andere suchen das schnelle Geld und sind mehr von HipHop und Kwaito angezogen. Mhlongo bleibt „Mama Africas“ Menschlichkeit, ihr offenes Haus, ihre Vorliebe fürs Kochen und Bewirten von unzähligen spontanen Gästen und oft Ratsuchenden, in Erinnerung. Aber auch ihr Einsatz für Menschenrechte. Sie gründete das „Makeba-Zentrum für Mädchen“, in dem missbrauchte und heimatlose Teenager ein Zuhause, Zuneigung und musikalische Förderung finden. Auch sie sangen für die „Mutter der Nation“ ein Abschiedslied: „Du bleibst unser Vorbild.“

Mhlongo ist nicht besorgt über ein Vakuum, das der bevorstehende Abgang der alten Garde, Ikonen wie Makeba, aber auch politische Anführer, die für den Kampf gegen Unterdrückung und den Übergang zum neuen Südafrika stehen, hinterlassen wird. „Wenn legendäre Persönlichkeiten wie Mama Africa und Madiba (Nelson Mandela) vor 15 Jahren gestorben wären, hätte es tragische Auswirkungen gehabt. Aber nun haben sie ihre Arbeit getan, und wir werden unsere Dankbarkeit dadurch zeigen, dass sie in unserem Geiste weiterleben wird. Das sieht Thandile Ramolefe, ehemalige Sängerin des ermordeten südafrikanischen Raggae-Stars Lucky Dube, ähnlich: „Die Jugend sieht zu ihr auf, aber singt nicht mehr über das Leiden in den Townships. Wir werden uns etwas verloren fühlen ohne Miriam.“ Die heutige Stewardess der südafrikanischen Airline war zufällig an Bord, als Makeba aus Italien nach Hause geflogen wurde, und der Schock sitzt noch tief: „Ich habe sie noch letztes Jahr bei einem Konzert in Nigeria getroffen, aber sie sagte schon dort, sie sei müde.“ Aber Makebas Leidenschaft habe sie immer wieder auf die Bühne gebracht. Es werde schwierig sein, denn die großen Legenden gehen, es ist ihre Zeit. Südafrika müsse sich neu orientieren, neue Vorbilder schaffen.

Doch einheimische Künstler werden zu wenig unterstützt. Sam Mhangwani, Vertreter der südafrikanischen Musikindustrie, würdigte den weltweit gefeierten Star Miriam Makeba in seiner Ansprache an die Trauergäste und bat anwesende Kulturminister und Politiker um Abhilfe: „ ‚Mama Africa‘ musste auch nach ihrer Rückkehr im Ausland ihr Geld machen, denn in Südafrika sind nur Auftritte internationaler Stars Wochen zuvor ausgebucht. Wie der Coca-Cola-Dome, in dem bald Lionel Ritchie auftreten wird. Aber Südafrikas Musik wird aussterben, wenn wir nichts tun.“

Eine der großen, alten Damen des südafrikanischen traditionellen Jazz, Abigail Khubeka, kann auch ein Lied davon singen. Sie trat schon 1956 in Makebas eigener Frauenband, die Skylarks, auf und zog mit ihr und der lokalen Jazzoper „King Kong“ nach London. „Sie war meine Mentorin, so diszipliniert und ladylike. Sie besaß diese exotischen afrikanischen Kleider und lehrte uns, sich stolz zu bewegen. Aber wir alle hielten sie für selbstverständlich. Hier in Südafrika werden wir Künstler nicht gebührend anerkannt“, sagt die Sängerin, die damals mit Makeba als „Shebeen-Queens“ (Königinnen in den illegalen Bars) in den ausgesiedelten Townships berühmt wurde, und rückt ihren eleganten schwarzen Hut zurecht. Obwohl Miriam in der Ferne stets Südafrikas Idol bei Jung und Alt geblieben war. Als Expräsident Nelson Mandela sie 1990 zur Rückkehr überredete, sagte er zu ihr: „An deinen Liedern konnten wir uns aufrecht halten.“

Die einsame Trompete von Hugh Masekela ertönt als Tribut für die Makeba. „Bra Hugh“ spielt das Solo „Welele“, ein Lied von der Überquerung von Grenzen zur Rückkehr in die Heimat, zum Abschied seiner früheren Künstlerkollegin und Ehefrau, die der ebenfalls legendäre Musiker ein Stück des Weges im Exil in den Vereinigten Staaten begleitet hat. Die Zuschauer klatschen leise im Rhythmus mit, bis das traurige Solo verhallt.

Dann tritt Makebas junger Urenkel auf die Bühne und vermittelt Trost in der gedämpften Stimmung: „Oma war eine wirklich eigenwillige Person“, sagt Lindelani Mkhize. „Sie erzählte mir, damals in Amerika dachten die Leute, mein Click-Song (Hochzeitslied auf Xhosa) ist komisch, aber sie sagte nein, das singen wir in Afrika. Sie waren auf amerikanischen Jazz abgefahren und dachten, warum singt sie nicht wie Billie Holiday. Doch Gogo (Oma) sagte, sie hat ihre Kultur dort bekannt gemacht. Sie hatten seltsame Frisuren, aber Oma trug die Haare in afrikanischem Stil. Sie war stolz und bescheiden. Wir können von ihr lernen und nach vorne schauen.“

Auf der Leinwand singt Makeba „When I have passed on“. Aber es ist die Hoffnung, die Makeba getrieben hat. Das Leid, nicht nach Hause – auch nicht zum Begräbnis ihrer Mutter – zurückkehren zu dürfen, hat sie stets in sich getragen. Doch die Verbundenheit zu Afrika, zu ihrem Volk, zu ihrem Kontinent hat sie nie losgelassen. Den vielen Trauernden fiel es schwer, nach afrikanischer Kultur die tote Künstlerin mit Gesang und Tanz zu feiern. Sie schrieben ihre letzten Zurufe in die Kondolenzbücher, die sich gegen Ende der Gedächtnisfeier gefüllt hatten. Die Verehrer kamen nicht nur aus Südafrika, sondern aus Tansania, Kongo, Sambia und anderen afrikanischen Ländern und schrieben: „Hamba Kahle, Mama Africa. (Gehe in Frieden). Deine Stimme und Würde ehrt uns. Niemals werden wir dich vergessen.“