Migranten und schwer Vermittelbare: Hauptschulen als Restecontainer

Die Kultusminister wollen auch Hauptschüler weiter an Tests teilnehmen lassen - wie sie ihnen helfen sollen, wissen sie jedoch nicht: NRW als Menetekel.

Wie lange lebt die Hauptschule noch? Bild: dpa

Am Sonntag war es wieder so weit. Bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain sangen sie das Sterbelied für die Hauptschulen.

Diese Schulform habe keine Zukunft, sagte der Pädagogikprofessor Horst Weishaupt. Die Gliederung des Schulsystems führe inzwischen zu einer sozialen Spaltung. Auch seien die Chancen der Hauptschüler, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, gering. Immer mehr Abiturienten drängten in die duale Ausbildung - weil steigende Qualitätsanforderungen sie attraktiv mache. Verlierer seien: Die Hauptschüler.

Herr Weishaupt sollte wissen, wovon er spricht. Er ist Vizedirektor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, jenem Institut also, das gerade die Pisa-Studie 2009 vorbereitet. Aber, was die Forscher wissen, das interessierte die Kultusminister nie so richtig. Gerade wollten sie beschließen, die rund 800.000 Hauptschüler, die es noch gibt, aus den internationalen Vergleichstests auszuschließen. Und die Standards für sie radikal abzusenken. Nach Informationen der taz wollen sie sich das nun doch nicht trauen. Die halbe Republik hatte aufgejault, als bekannt wurde, dass die Schulminister die Hauptschüler aus dem Rennen nehmen wollten. Der Bundestagsabgeordnete Patrick Meinhardt (FDP) hatte sie dafür rundweg als Verrückte beschimpft. Keine schöne Zeit für die Hauptschulminister.

Die Kultusfritzen sind in Wahrheit aber die größten Fans der Hauptschulen. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel schwört man Stein und Bein auf die Hauptschulen - denn sie sind gut als Container für die Verlierer zu gebrauchen. Jürgen Rüttgers (CDU) etwa, der Ministerpräsident, gibt den Hauptschulen auf lange Sicht Bestandsschutz. "Wie wollen wir denn sonst sicherstellen, dass diejenigen, die überwiegend praktisch veranlagt sind oder eine Zuwanderungsgeschichte haben, eine auf sie zugeschnittene gute Ausbildung bekommen?", fragt er.

Vielleicht sollte der Mann, der sich einst unter Helmut Kohl zum Zukunftsminister beförderte, mal den Weg nach Essen finden. Im Herzen des Potts gibt es 13 Hauptschulen - aber nur noch vier erfüllen die gesetzlichen Standards der Mindestschülerzahl. Drei Hauptschulen wird die Stadt nun dichtmachen. Das ist kein Trend nur aus Essen - er gilt für ganz NRW. 11.000 Schüler werden es kommendes Jahr weniger sein, die an Hauptschulen gehen. Die Landesregierung reagiert auch darauf - sie zieht 900 Lehrerstellen von dort ab. 30 Hauptschulen werden im ganzen Land wohl geschlossen. Aber in ihren Sprechblasen verkünden die zuständigen Regierungsmitglieder, dass es der sterbenden Hauptschule ganz famos geht.

In der Opposition hat man nur mehr Galgenhumor für die Hauptschulcracks übrig. "Rüttgers ist kein Zukunftsministerpräsident, sondern ein Science-Fiction-Premier - er malt sich die Zukunft, wie sie ihm gefällt", sagt die grüne Landtagsabgeordnete Sigrid Beer der taz. "Die Landesregierung verabschiedet sich von ihrem Ziel, dass alle SchülerInnen eine grundlegende Allgemeinbildung bekommen - sie macht damit die Hauptschule zu einer Art Sonderschule für Berufsfähigkeit."

Die Frage ist nur, wie lange der Regierungspartner FDP noch stillhält. Andreas Pinkwart, Vize-Ministerpräsident, findet die Dreigliedrigkeit obsolet. Er ist Wissenschaftsminister und weiß, dass man mit einer Schulform aus dem 19. Jahrhundert im 21. Jahrhundert keine Bäume ausreißen kann - schon gar nicht in einer Region, bei der in einem gigantischen Strukturwandel praktisch alle Jobs für Niedrigqualifizierte rasiert werden. Pinkwart hat eben die jüngste erweiterte Pisa-Studie 2006 gelesen. Dort werden in den NRW-Hauptschulen 54 Prozent Schüler notiert, die nur auf Grundschulniveau lesen können.

Die Kultusminister werden nach Informationen der taz indes eine andere Strategie einschlagen. Sie wollen morgen etwas unternehmen, damit SchülerInnen - so steht es im Papier, das der taz vorliegt -, "die den Hauptschulabschluss anstreben, nachhaltiger gefördert werden können." Das klingt nach Demut, ruft aber bei vielen Verantwortlichen Frust hervor. "Die Kultusminister wollen nur ihre Ratlosigkeit überspielen", sagte die hochrangige Mitarbeiterin eines Ministeriums der taz. "Sie haben keine Strategie für die Risikogruppe."

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