Weinprobe im Chemischen Untersuchungsamt: Vorkoster des Volkes

Ist der Orangensaft frischgepresst oder doch aus Konzentrat? Ist in der Flasche Syrah 2004 das, was draufsteht? Lebensmittelchemiker greifen zu immer ausgefeilteren Methoden.

Risiko Glühweintrinken: Am nächsten Tag weiß man, ob der Wein gut war. Bild: dpa

Im Verkostungsraum spucken sie den Wein einfach ins Waschbecken. Heute fließen südafrikanische in den Abfluss, der Zoll hat sie hergebracht. Knapp 20 Flaschen harren einer Geschmacksprobe durch Ludwig Rothenbücher, "Weinchemiker" nennt er sich gern. Eigentlich ist er Abteilungsleiter im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Stuttgart.

Sie analysieren hier alles, was das Volk isst, trinkt oder zumindest anfasst: Fruchtsäfte, Fisch, Fleisch, Schokolade, Trinkwasser, sie überwachen die Gesundheit von Tieren oder untersuchen Gebrauchsgegenstände wie chinesisches Plastikspielzeug. Rothenbücher kümmert sich mit seiner Abteilung um den Wein. Momentan bringen ihm die Kontrolleure von den Landratsämtern oft Proben vom Weihnachtsmarkt mit: Glühwein.

Ämter wie das von Rothenbücher stehen immer dann im Fokus, wenn die Vogelgrippe ausbricht oder die Bürger vor der gefährlichen Chemikalie Melamin in chinesischen Milchprodukten geschützt werden wollen. Doch Skandale oder Skurriles sind selten. Einmal hatten sie eine Bierflasche mit Urin drin. Im Alltag aber testen die Lebensmittelchemiker schlicht, ob drin ist, was draufsteht.

Die ersten Messinstrumente, die Rothenbücher dabei verwendet, sind Zunge, Nase und Augen. Hat der Wein die charakteristische Farbe der angegebenen Rebsorte? Das dunkle Kirschrot eines Spätburgunders, das Brombeerfarbene eines Lembergers oder das Ziegelrot eines Trollingers? Ist er leicht bräunlich, deutet das beim Glühwein auf zu viel Hydroxymethylfurfural hin. Auf Deutsch, er hat zu lange geköchelt - der Stoff entsteht, wenn Zucker erhitzt wird. Gesundheitsschädlich ist er erst in größeren Dosen als bei angebrannt schmeckendem Punsch, allerdings ist im Gegenzug der Alkohol fast vollständig verdampft. Braun kann auch auf zu wenig Schwefel hindeuten. Zu viel macht Kopfweh und riecht nach faulen Eiern, bei zu wenig baut sich der Alkohol über Zwischenprodukte zu schnell zu Säure ab.

Nach der Sichtprobe riecht und gurgelt Rothenbücher. Besonders unerwünscht ist dabei das "Mäuseln", der Wein erinnert dann an den Harn von Mäusen. Wegen unhygienischer Herstellung können Bakterien entsprechende Duftnoten hinterlassen. Oder die Probe schmeckt nach Möbelpolitur - die "untypische Alterungsnote" entsteht etwa, wenn die Reben zu dicht gepflanzt waren und die Trauben nicht richtig reifen konnten. "Dieser Wein hat keine Fehlaromen. Er ist saftig, hat ein schönes Bouquet und ist für diese Rebsorte absolut typisch", sagt der Weinchemiker.

Es war ein Lemberger aus Württemberg. Bei Weinen aus Staaten außerhalb der EU beanstandet Rothenbücher 50 Prozent der Proben, bei denen aus Deutschland zehn Prozent. Das klingt viel, getestet werden aber vor allem Weine, bei denen Behörden ohnehin Schwindel vermuten. Manchmal gibt es auch Insider-Tipps. Meist geht es um kleinere Fehler wie einen falsch angegebenen Alkoholgehalt.

Selten kommt vor, dass Weine gezuckert, verwässert oder aromatisiert sind oder durch einen extra Schuss Glykol geschmeidiger gemacht werden. Gesundheitsschädliche Konzentrationen von Zusatzstoffen findet die Behörde nur alle paar Jahre.

Um dem häufigen Etikettenschwindel auf die Spur zu kommen, werden Weine und Säfte nach der Sinnesprobe chemisch analysiert. Bei Wein werden etwa Dichte, Schwefel- und Alkoholgehalt mittels Kolbengefäßen und Bunsenbrenner gemessen.

Säfte werden eingedampft. Je nach Frucht kommen die Zucker Fructose und Glucose in unterschiedlicher Konzentration vor, zudem lassen sich durch sie Rückschlüsse auf den Jahrgang ziehen: "Der Kollege, der die Apfelsäfte bearbeitet, hat noch jahrelang erkannt: das ist ein 2003er", sagt Karin Zur, verantwortlich für die Analyse von Fruchtsäften und Spirituosen.

Der Anteil etwa von Kalium, Calcium oder Magnesium gibt zudem Auskunft über den Fruchtsaftgehalt. Frisch gepresster Saft lässt sich sehr leicht anhand von Enzymen von billigem Konzentrat unterscheiden: je älter, desto weniger Eiweiße, die Lebensprozesse in Zellen steuern, sind noch aktiv.

Noch exakter lassen sich Jahrgang und Anbaugebiet von Weinen durch einen chemischen Fingerabdruck der Pflanzen ermittelt. Die Böden, in denen sie wachsen, enthalten je nach Gebiet verschiedene Anteile von Spurenelementen und Mineralien. Zudem führt das Klima zu einer anderen Verteilung von Varianten der Element Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel und Kohlenstoff in der Luft. Diese sogenannten Isotope unterscheiden sich in der Anzahl ihrer Neutronen im Atomkern.

Mit Isotopen-Massenspektrometern können die Stoffe, von denen sich die Pflanze ernährt hat, wieder aufgeschlüsselt werden. Extrakte durchlaufen dabei ein magnetisches oder elektrisches Feld. Weil Masse und Energie der Stoffe unterschiedlich sind, werden sie verschieden abgelenkt und getrennt, was ein Detektor misst. "Ich kann Ihnen zwar nicht sagen, ob ein Wein aus dem württembergischen Unterland oder aus dem oberen Neckar kommt. Ob er aus Sizilien oder der Ukraine stammt, das erkennen wir aber", sagt Rothenbücher, der die Analysen teilweise in andere Ämter auslagern muss.

Um Vergleichswerte zu haben, werden am EU-Forschungsinstitut JRC im italienischen Ispra seit 1991 die chemischen Fingerabdrücke der Weine gespeichert. Allerdings gebe es noch zu wenig Vergleichsdaten, so Rothenbücher.

Bis zu 1.000 Weine verkostet er im Jahr, Kollegin Zur bis zu 300 Spirituosen. Um ihre Gesundheit machen sie sich keine Sorgen: Es sei erwiesen, dass nach 100 Proben, die im Becken des Verkostungsraumes landen, der Alkoholgehalt im Blut immer noch bei unter einem Promille liege, sagt Rothenbücher.

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