: Dolch im Rücken
Die Slowakei hat bereits hinter sich, was der Türkei und Norwegen heute Abend erst noch droht: den Katzenjammer, bei der Fußball-WM im nächsten Sommer in Deutschland nicht dabei zu sein
AUS BRATISLAVA RONALD RENG
Ein neuer Tag kam und brachte ein neues Spiel für Miroslav Karhan. Statt des Fußballs standen Bauklötze im Mittelpunkt; der einzige Spielpartner an diesem Montagmorgen, zwei Tage vor der vermeintlich wichtigsten Partie seines Fußballerlebens, war sein zweijähriger Sohn Patrick. Karhan, im Mittelfeld des VfL Wolfsburg seit Jahren einer der verlässlichsten Bundesligaspieler und Kapitän der slowakischen Nationalelf, saß schon nicht mehr im Mannschaftsquartier in Bratislava, sondern im Wohnzimmer seiner Eltern in Hlohovec. Eine gelbe Karte am Samstag in Madrid im Hinspiel der WM-Qualifikation gegen Spanien, und er war gesperrt für das Rückspiel am heutigen Mittwoch in Bratislava. Montagnachmittag schon machte er sich auf den Rückweg nach Wolfsburg. „Weißt du, ob das Spiel im deutschen Fernsehen gezeigt wird?“, erkundigte er sich noch, „sonst muss ich es mir am Ende im Videotext anschauen.“ Es wäre, auf tragikomische Art, ein angemessener Schlusspunkt: Jetzt auch noch 90 Minuten eine Videotextseite anstarren. Das würde Pech und Pein komplett machen.
Miroslav Karhan ist kein Einzelschicksal, nur das beste Beispiel für das slowakische Missgeschick. Ihre Party ist vorüber, ehe sie begann. Der größte Fußballabend, seit die Slowakei vor zwölf Jahren ein unabhängiger Staat wurde, war für diesen Mittwoch angekündigt, die Chance, sich erstmals für eine WM zu qualifizieren, längst sind die 30.000 Eintrittskarten vergriffen. Nun, nach der 1:5-Niederlage in Madrid, scheint das Rückspiel eine von vorneherein vergebliche Mühe. „An Wunder glaube ich nicht“, sagt Karhan. Der nötige 4:0-Sieg ist dieser Elf nicht zuzutrauen, deren Stärke das Destruktive ist – oder es zumindest bis zum Samstag war.
Ein Jahr lang haben sie in ihrer Qualifikationsgruppe den zweiten Rang vor Russland leidenschaftlich behauptet, sich so erstmals dieses Ausscheidungsfinale verdient, nebenbei in einem Test Deutschland durch zwei Tore von Karhan 2:0 geschlagen. Doch in einer einzigen, wahnwitzigen spanischen Nacht haben sie alles eingerissen. War es Lampenfieber? Vielleicht werden sie irgendwann in der Lage sein, ihr Versagen zuzugeben – noch jedoch schützen sie sich, indem sie allen anderen die Schuld geben. „Die Spanier waren totale Idioten“, sagte Karhan der spanischen Sportpresse, „sie haben unsere Hymne ausgepfiffen, und nach dem Spiel mussten wir ungeschützt durch die Fanmassen zum Bus laufen.“
Er ist grundsätzlich ein sehr freundlicher Mann. Doch der Zorn über das 1:5 musste raus. Dass er sich so drastisch anhörte, lag wohl auch daran, dass er auf Spanisch redete – für Diplomatie reicht sein Wortschatz nicht mehr, das einjährige Gastspiel bei Betis Sevilla liegt sechs Jahre zurück. Auf Deutsch hörte er sich schon nicht mehr so schlimm an – der Schiedsrichter allerdings war immer noch ein böser Mann. „Der Schiri, unglaublich!“, stimmte im Hotel in Bratislava Nationaltrainer Dusan Galis ein: „Ich tippe dem Linienrichter auf die Schulter und der fällt gleich in Ohnmacht, dafür kriege ich die rote Karte! Dann dieser Elfmeter! Fünf Spieler von uns protestieren, und wer ist der Einzige, den der Schiri abstraft? Genau derjenige von den fünf, der schon Gelb hatte! Den stellt er vom Platz! Meine Frau glaubt, Spanien sei ein Land der Kultur und des Anstands, aber mir ist der Spaß vergangen. Wir starben mit den Dolch im Rücken.“
Die Wahrheit ist, dass den Strafstoß, der Spanien das 3:1 brachte, wenige Schiedsrichter gegeben hätten – und dass die Slowakei auch ohne diesen Nachteil kaum ein viel besseres Resultat erzielt hätte. So unorganisiert sind sie unter Galis noch nie aufgetreten. Einmal blieben bei einem Eckball drei Spanier frei; drei! „Jajaja“, knurrte Karhan nur. Er weiß, „es war unsere größte Chance, uns einmal für eine WM zu qualifizieren.“
Eine neue Qualifikation wird kommen und eine neue Chance bringen. Doch das kann Miroslav Karhan nicht trösten. „Es wird schwer, noch einmal so ein Endspiel wie gegen Spanien zu erreichen.“ Eine lange Autofahrt von Hlohovec nach Wolfsburg lag vor ihm, und es schien angebracht, ihm die Wahrheit zu verheimlichen: ARD und Premiere besitzen die Rechte, Slowakei gegen Spanien zu übertragen. Nach dem Hinspiel zeigen beide lieber Türkei gegen Schweiz.