Schwere Hausmachtskost

Die große Koalition steht, der große Kommunikator bleibt unsichtbar. Dem Mann, dessen Name noch kürzlich das Markenzeichen seiner Partei war, muss es allmählich dämmern, wie langweilig und trübselig ein Privatleben ist

Was der Privatier Joschka F. wohl gefühlt haben muss in den letzten Tagen, nein, Wochen dauern die Verhandlungen ja schon? Nicht ihm, dem Lotsen, klatscht man Beifall, nein, eine erklärte Leichtmatrosin darf Zustimmung ernten angesichts eines Regierungsprogramms, für das Rot-Grün geteert und gefedert worden wäre.

Schlimmer noch: Keine sorgenvollen Gesichtsfurchen, kein rhetorischer Knalleffekt bewirkten das matte Durchwinken der unpopulären Beschlüsse, sondern der Glaube in die Unausweichlichkeit. Die nun begonnene Zweckehe hat so gar nichts von der Erotik des Tigersprungs, die der scheidende Außenminister gerne für sich in Anspruch nahm.

Seinen Exbuddy Gerd, der laut eigener Aussage zu Pathos nicht fähig ist, überkommt Rührung, als sie ihm beim SPD-Parteitag die sieben Regierungsjahre im Zeitraffer vorspielen. Ganz so, als sei er bereits tot, ein dead man walking. Der andere Zombie im Politikbetrieb, dessen mangelnde Coolness Fischer zu manchem Spott hinriss, leidet indes „wie ein Hund“ und suhlt sich in der öffentlichen Selbstkasteiung.

Lieb mich, liebe CSU, bitte lieb mich, ich hab doch nichts anderes. Dabei herrscht in den Parteien längst das Discounter-Prinzip: Wo eine Lücke ist, rückt sofort etwas Neues nach. Kaum vorstellbar also, dass irgendein Hahn noch nach Stoiber kräht, sollte es mal zu Ende sein mit der bayerischen Hausmacht. Ein abstinenter Klarsichthüllenträger taugt eben nicht zur Legende, ist kein „Live-Rock-’n’-Roller“ von Joschkas Gnaden. Nur er selbst, der große und unverzichtbare Kommunikator, kann sich einen solchen Abstecher ins Nichts leisten.

Dass dieser ewig dauern wird, glaubt er ja selbst nicht. Romantik in Rom, Blumengießen in Berlin, Gastvorträge in Genf – das hält auf Dauer doch keine Sau aus. Ewig nur zu Hause essen, die Memoiren schreiben, auf Anrufe warten – das Schicksal Helmut Kohls will der Grünkohl nicht erleiden.

Also doch bei nächstbester Gelegenheit zurück ins operative Geschäft? Das wird wohl nichts mehr. Die Überwältigungstaktik, mit der Joschka Fischer seine Karriereziele erreichte, zählt derzeit wenig im politischen Geschäft. Gefragt sind die Netzwerker, nicht die Einwickler. Die Moderatoren, nicht die Oratoren. Sozialtechnologen, keine Straßenköter. Eine Generation von Zahlenfressern schickt sich an, Haushaltslöcher zu stopfen. Für ein emphatisches Verständnis von Gestaltungsmacht ist da kein Bedarf mehr.

Dabei wäre ein Repräsentant wie Fischer für die Grünen gerade jetzt unverzichtbar. Denn für die Ökopaxe gilt sehr wohl die Gleichung Müntes, wonach Opposition Mist ist. Selbst auf ihren ureigensten Politikfeldern – Umwelt, Verbraucherschutz, Bürgerrechte – dürfte es künftig schwer fallen, mit alternativen Konzepten durchzudringen. Es sei denn, man spielte das Spiel der Personalisierung mit, das sich spätestens seit der SPD-Troika etabliert hat.

Doch wo sind die neuen Gesichter, die Aufbruchstimmung signalisieren? Nicht mehr lange, und man wird sie ernsthaft vermissen: den Fischer und seine Frau. JAN ENGELMANN