Debatte Gewalt im deutschen Fußball: Oben hui, unten pfui

Wie stehts im Kampf gegen Gewalt und Rassismus im deutschen Fußball? DFB- Präsident Zwanziger hat viel bewegt. Heilig sprechen muss man ihn deswegen nicht.

Fans von Dynamo Dresden stürmen während eines Freundschaftsspiels ihres Reserveteams den Rasen; Sympathisanten des Karlsruher SC verletzten einen Stadionordner schwer; und Anhänger von Hertha BSC Berlin traktieren einen dunkelhäutigen Gegenspieler mit rassistischen Beschimpfungen.

Das Jahr ist noch jung, aber diese Auswahl von Vorfällen wäre beliebig erweiterbar - deutscher Fußballalltag eben; und scheinbar nicht weiter alarmierend: Zum einen wohl deswegen, weil sie nicht vergleichbar sind mit den kriegsähnlichen Zuständen, die rund um die polnischen und italienischen Stadien herrschen. Zum anderen ist ja, so der landläufige Eindruck, mit der Präsidentschaft von Theo Zwanziger das Gewalt und Rassismusproblem beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) sowieso in den besten Händen.

Dass sich die neue Verbands-Führung - ähnlich wie beim Frauenfußball - mächtig profilieren konnte, war vor allem den Versäumnissen unter dem nationalkonservativen DFB-Patron Gerhard Mayer-Vorfelder geschuldet. Kaum hatte Zwanziger im September 2006 die alleinige Verantwortung übernommen, nutzte er einen Monat später die erste Häufung von Ausschreitungen, um Zeichen zu setzen. Eine "Task Force" wurde eingerichtet - vielen war dieser Begriff nur aus dem Kontext des 11. Septembers, als Kampfverband gegen den internationalen Terrorismus, bekannt. Die "Eingreiftruppe Zwanziger" sollte im deutschen Fußball Maßnahmen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit initiieren.

Seither lässt der DFB keine Gelegenheit aus, um seine Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Kommt es zu Ausschreitungen, beschwört der Verband postwendend seine "Null-Toleranz Politik" und droht mit drakonischen Strafen bis hin zum Lizenzentzug. So heimst der DFB, trotz der kaum weniger werdenden Negativmeldungen, stetig Imagepunkte ein. Vor wenigen Monaten wurde Theo Zwanziger für sein Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Rechtsextremismus mit dem Preis "Gegen Vergessen - Für Demokratie" ausgezeichnet.

Zweifellos muss man dem DFB zusammen mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) zugutehalten, im Kampf gegen Gewalt und Rassismus nicht nur aktionistisch (Task Force) und repressiv (Lizenzentzug) zu agieren, sondern auch präventive und langfristig angelegte Maßnahmen zu unterstützen. Die Arbeit der Task Force wurde mittlerweile einem dauerhaft arbeitenden Gremium übertragen. Zudem hat der DFB die Arbeit der Fanprojekte aufgewertet, indem er sein finanzielles Engagement erhöhte. Anders als beim Verkauf der Ware Fußball werden Fanvertreter hierbei nicht mehr als Querköpfe und Störenfriede ignoriert, sondern als Partner wahrgenommen. Es wird zumindest wieder kommuniziert. Ein Fortschritt.

Aber trotz der großen Wertschätzung, die der DFB erhält, weil er längst überfällige Probleme angeht, muss man den Verband hierfür nicht heiligsprechen. Als vor kurzem Theo Zwanziger gegen einen Journalisten prozessierte - weil er sich durch die Bezeichnung "Demagoge" in die rechte Ecke gedrängt sah, wurde deutlich, wie gern Zwanziger sich wegen seines gesellschaftspolitischen Engagements für sakrosankt erklären lassen würde. Die Selbstzufriedenheit ist groß.

Es ist an der Zeit, einmal inhaltlich darüber zu diskutieren, ob die gut gemeinten Initiativen unter Zwanzigers Ägide tatsächlich geeignet sind, dem Gewalt- und Rassismusproblem im deutschen Fußball zu begegnen. Setzt man die Erkenntnisse der Experten mit den DFB-Konzepten in Beziehung, wird klar, dass der Verband derzeit das Problem auf einer schiefen Ebene nach "unten" befördert. Der auch vom DFB beschäftigte Soziologe Gunter A. Pilz arbeitete 2006 in einer Studie heraus, dass sich die Gewalt- und Rassismusproblematik immer weiter in die unterklassigen Ligen verschiebt - dorthin, wo Sicherheitsstandards und Überwachungsmöglichkeiten nicht so hoch sind. Der DFB und seine Landesverbände sind nun dabei, die strengen Sicherheitsvorschriften der ersten drei Profiligen so weit wie möglich auch auf die vierte und fünfte Spielklasse auszuweiten. Gerade in den neuen Bundesländern, wo selbst noch in der Oberliga alte Traditionsvereine mit großem Anhang aufeinandertreffen, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen.

Die Folge dieser Politik ist absehbar. Wie das Beispiel Dynamo Dresden zeigt, schaut deren schlagbereite Anhängerschaft auch gerne beim Reserveteam vorbei, wenn man da seine Aggressionen und Ressentiments besser ausleben kann. Zudem sorgt der DFB mit seinem zu Recht rigorosen Strafenkatalog selbst dafür, dass einige Vereine vielleicht bald die Lizenz entzogen bekommen oder Konkurs anmelden müssen und sich dann womöglich in den Kreisligen wieder neu gründen.

Obwohl der DFB um die Verschiebung des Gewaltproblems nach unten weiß, versucht der Verband nach wie vor von der Spitze des Problembergs aus zu agieren. Es fehlt an Konzepten, wie man auch an der Basis des Amateurfußballs aktiv werden kann. Dieselben Methoden wie im Profibereich - also ein Mix aus Fanarbeit und strengsten Sicherheitsauflagen - sind hier nicht einsetzbar, weil die niederklassigen Clubs weder über Geld noch über geschultes Personal verfügen. Bei den Freizeitkickern kommt ein weiteres Problem hinzu: Gewalt wird hier oft direkt auf dem Rasen unter den Spielern und gegenüber dem Schiedsrichter ausgetragen.

An der Basis scheint der DFB handlungsunfähig zu sein. Das hat damit zu tun, dass das neue Bewusstsein der Funktionäre, auch in einer gesellschaftspolitischen Verantwortung zu stehen, noch lange nicht bis ganz nach unten durchgedrungen ist. Hier gibt es so einige abgestumpfte Spielbeobachter, die homophobe oder rassistische Beleidigungen gar nicht als solche wahrnehmen. Und wenn die Vereine sich selbst zur Wehr setzen, wie es einst Makkabi, ein Berliner Club mit jüdischen Wurzeln, tat, als sie während eines Spiels von einer Horde Rechtsextremer mit antisemitischen Hasstiraden geschmäht wurden, dann haben oft blasierte Sportrichter das letzte Wort, die solche Vorgänge als Kavaliersdelikt bewerten.

Die engagierten Kräfte hingegen fühlen sich vom Verband alleingelassen, weil für ihre Arbeit keine finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Die Basis rief der DFB schon immer gern zu ehrenamtlichem Engagement auf. Und neuerdings fordert man eben noch Zivilcourage ein.

Falls der Wind sich aber doch einmal dreht und das gesellschaftspolitische Engagement des Verbandes einer kritischen Überprüfung standhalten müsste und nicht per se als friedensnobelpreisverdächtig behandelt würde, dann könnte Theo Zwanziger immer noch den selbst vorbereiteten Fluchtweg einschlagen. "Wir sind doch nicht die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft." Das hat er bereits gesagt. Ein Argument, das gegen fast jede Kritik immun macht.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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