Denker der Neurose

Slavoj Žižek lässt unermüdlich Psychoanalyse, Marxismus und Idealismus auf die Erzeugnisse der Popkultur prallen. Im Film „The Pervert’s Guide to Cinema“ zeigt sich Žižek auch als der große Entertainer der Philosophie. Auf seiner Promotour sprach er über den Todestrieb als ethische Kategorie

Denken und Neurose gehen bei Žižek eine produktive Verbindung ein, die sich auch körperlich manifestiert. Tics sind fester Bestandteil seines Denkens

VON TIM CASPAR BOEHME

Wenn ein Denker seine Zuhörer regelmäßig zum Lachen bringt, kann das entweder daran liegen, dass er sich auf die Präsentation von Wissen als Ware versteht, garniert mit einer Handvoll Scherze. Oder es hat damit zu tun, dass er Einsichten vorträgt, die so überraschen, dass sie auf den ersten Blick wie bloße Übertreibungen erscheinen. Slavoj Žižek ist ein Philosoph, der an die Wahrheit von Übertreibungen glaubt, und genau darin besteht der Witz seines Denkens. Ob er über Film spricht oder zu aktuellen politischen Fragen Stellung bezieht, stets gelingt es ihm, selbst die abgründigsten Überlegungen so zu präsentieren, dass man lachen kann, ohne um die Erkenntnis betrogen zu werden.

Seine Freunde nennen ihn angeblich „Fidel“. Weniger wegen seiner politischen Haltung als wegen der Neigung, so viel zu reden wie einst der Máximo Líder. Als der Philosophiestar aus Slowenien am Freitag zur offiziellen deutschen Premiere des Films „The Pervert’s Guide to Cinema“ mit ihm als Hauptdarsteller einige Veranstaltungen in Berlin absolvierte, machte er keine Ausnahme. In Sophie Fiennes’ Film ist einmal mehr das von Žižek zu höchster Perfektion getriebene Konzept zu bewundern, Filmklassiker philosophisch zu lesen – und anhand bestimmter Figuren und filmischer Erzählweisen philosophische Ideen zu exemplifizieren. Am Kulturinstitut ICI Berlin hielt er also einen Vortrag über den Todestrieb als philosophisches Konzept, in dem er noch einmal seine These vom Todestrieb als ethische Kategorie präsentierte.

Anschließend ließ er das Publikum während der kurzen Diskussion wissen, dass er Dialoge durchaus schätze. Allerdings möge er hauptsächlich Dialoge im Stile Platons, in denen Sokrates fast die ganze Zeit rede und seine Gesprächspartner alle zehn Minuten mit „Ganz recht“ oder „So ist es“ antworten. Der Vergleich mit Sokrates ist dabei nicht nur selbstironisch zu verstehen. Was eine Figur wie Sokrates faszinierend macht, ist ihr Begehren, das sich in insistierendem Denken manifestiert. Die Unerbittlichkeit der Fragen des berühmtesten Denkers Athens bringt die Dialogpartner nicht nur in Verlegenheit, sondern übt auch eine immense Anziehungskraft aus. Žižeks nicht enden wollende Ausführungen wirken auf seine Hörer nicht minder faszinierend, strahlt er doch das gleiche Begehren des Wissens aus. Und dabei ist der selbst ernannte Stalinist und von Kritikern häufig zum Philosophieclown degradierte Intellektuelle alles andere als ein smarter Charismatiker.

Dass Žižek oft als Entertainer wahrgenommen wird, hat viel mit seinem spielerischen Umgang mit Beispielen aus der Popkultur zu tun. Seine große Liebe gilt den Filmen von Regisseuren wie Alfred Hitchcock oder David Lynch, wobei er auch keine Berührungsängste mit Blockbustern hat, sind doch gerade diese Filme für ihn als Manifestierungen von Ideologie oder als Illustrationen psychoanalytischer Ideen von Interesse. Dank der Regisseurin Sophie Fiennes hat Žižeks Begeisterung für das Kino nun ihr ideales Medium gefunden. Vor zweieinhalb Jahren vollendeten sie ihren gemeinsamen Film „The Pervert’s Guide to Cinema“ mit dem Philosophen als Hauptdarsteller. Als Grundlage dienten die Filmbeispiele aus Žižeks Büchern, in denen er demonstriert, wie Filme unser Begehren strukturieren und manipulieren.

Was den Film so brillant macht, ist seine Inszenierungsidee. Fiennes zeigt den Denker bei seinen Ausführungen im Wechsel mit Originalszenen aus seinen Filmbeispielen. Statt jedoch Žižek vor gleichsam neutralem Hintergrund zu präsentieren, stellt sie die Szenen aus den Filmen an den Originalschauplätzen nach. So sieht man Žižek im Keller von Bates Motel aus „Psycho“ auf jenem Drehstuhl, auf dem normalerweise das Skelett von Norman Bates’ Mutter sitzt. Oder er fährt im Motorboot die Bodega Bay entlang, genau wie Kim Novak als Madeleine in „Die Vögel“.

Dieses ständige Schwanken sorgt nicht nur für großartige Situationskomik. Das Ergebnis ist Film gewordene Theorie, die ihren eigenen Subtext erzeugt. Der Verlag Zweitausendeins war so begeistert, dass er den Vertrieb für Deutschland übernommen hat und den Film im Sommer als DVD herausbringen wird. Bei einem solchen Projekt scheint sich der Eindruck zu bestätigen, Žižek sei ein grandioser Selbstdarsteller. Das stimmt wohl. Doch als Žižek bei der gemeinsamen Präsentation des Films von Zweitausendeins und der Zeitschrift Spex am vergangenen Freitag in einer Diskussion gestand, er habe den Film bisher nicht ansehen können, weil er seine eigenen Tics nicht ertrage, schien dies keine bloße Koketterie zu sein. Was ihn andererseits nicht davon abhielt, bei gleicher Gelegenheit im großen Stil über Filmgötter wie Jean-Luc Godard oder Ingmar Bergman herzuziehen und Claude Lanzmanns Film „Shoah“ als eine der übelsten Formen von Zionismus zu bezeichnen.

Viele der Provokationen Žižeks hat man in der ein oder anderen Form schon einmal gehört. Da er jedoch seine Konzepte ständig an aktuelle Ereignisse und Entwicklungen andockt, ohne die geringste Anfälligkeit für Denkverbote im Zeichen politischer Korrektheit zu zeigen, bringt er mit seinem Ansatz immer wieder unerwartete Perspektiven ins Spiel, und sei es mit seiner fast schon sprichwörtlichen Figur der impulsiven Verkehrung – „Es ist genau umgekehrt!“.

Wenn es so etwas wie den Typus des nervösen Intellektuellen gibt, dann ist Žižek seine Inkarnation. Dass ein Philosoph allein durch seine körperliche Gegenwart die Unruhe des eigenen Denkens vermittelt, ist selten genug. Nicht wenige seiner Kollegen signalisieren mit ihrer Anwesenheit eher eine distanzierte Schläfrigkeit. Bei Žižek herrscht hingegen das Prinzip Atemlosigkeit. Einem seiner Vorträge zu lauschen ist für manche Zuhörer daher nicht nur wegen der vielen unerwarteten Wendungen extrem anstrengend, sondern allein schon durch das bloße Betrachten der Getriebenheit, die sein ganzer Körper vermittelt.

In gewisser Hinsicht repräsentiert Žižek auf höchst eigene Weise die – üblicherweise etwas anders gemeinte – Rückkehr des Leibes in die Philosophie im 20. Jahrhundert. Denn vermutlich dachten die wenigsten dabei an die hektischen Gesten der Philosphen selbst. Denken und Neurose gehen bei Žižek eine höchst produktive Verbindung ein, die sich immer auch körperlich manifestiert. Der Titel seines ersten in Deutschland erschienenen Buchs, „Liebe dein Symptom wie dich selbst!“, passt im Grunde vorzüglich auf ihn selbst. So würden statistische Angaben darüber, wie oft er sich bei Vorträgen ruckartig an die Nase fasst, sicher zu bemerkenswerten Ergebnissen führen. Doch statt bloß unfreiwillig komisch zu wirken, sind seine Tics fester Bestandteil seines Denkens. Was andere einfach verdrängen, kehrt bei ihm aus Prinzip wieder.

Dass zu Žižeks intellektuellen Gewährsmännern auch der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan zählt, erscheint fast zwangsläufig, oder, um eine von Žižeks dialektischen Volten zu übernehmen, wie eine „kontingente Notwendigkeit“. Žižek manifestiert die Theorien Lacans mit seiner Person wie kein zweiter. So gab er in einem Workshop am ICI Berlin zu Protokoll: „Glauben Sie mir, bei Zwangsneurotikern weiß ich genau, wovon ich rede, denn ich bin es mit Haut und Haaren.“ Nicht umsonst bilden psychoanalytische Grundbegriffe wie Trieb oder Wiederholungszwang Konstanten seines Denkens. Wenn er Fragen wie die nach dem Zusammenhang von Kants Ethik mit dem psychoanalytischen Konzept des Todestriebs aufwirft, ist stets die existenzielle Verquickung von Theorie und eigenem Leben im Spiel. Sofern der Ausdruck „gelebtes Denken“ bei einem Theoretiker überhaupt angebracht sein sollte, scheint Žižek als Kandidat bestens geeignet.

Erfahrungsgemäß bringen große Denker im Laufe ihres Lebens nur eine entscheidende Idee hervor, die sie immer wieder neu ausarbeiten. Wie Žižek, der in diesem Monat 60 Jahre alt wird, im ICI Berlin bekannte, laufen seine Bemühungen im Kern auf den Wunsch hinaus: „Ich will Hegel wirklich verstehen.“ Ganz abwegig erscheint das nicht, ist der deutsche Philosoph doch ein ständiger Begleiter seines Denkens. In seinem aktuellen Forschungsprojekt wolle Žižek zeigen, dass es jenseits des Hegel-Bilds des verrückten Idealisten mit dem absolutem Wissen einen anderen Hegel gebe, den es erst zu entdecken gelte. Vielleicht ist es auch an der Zeit, den Žižek jenseits des Philosophieclowns wiederzuentdecken.