: „Ich spreche nicht von Kuratieren“
ZEIGEN Die Konzeptkünstlerin Karin Sander hat hunderte von Arbeiten Berliner Künstler zusammengestellt, die nur zu hören sind. Ist das eine von einer Künstlerin kuratierte Ausstellung? Oder ein eigenes Werk?
■ Karin Sander gehört zu den international renommiertesten Gegenwartskünstlerinnen. 1957 in Bensberg, Nordrhein-Westfalen geboren, machte sie 1981 ihren Abschluss an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart. Obwohl sie in ihrer Arbeitsweise in Konzeptkunst und Minimal Art verwurzelt ist, unterläuft ihr facettenreiches, stets dezidiert ortsspezifisch angelegtes Werk gleichwohl solche Klassifizierungen. Sie interessiert die Interaktion zwischen Architektur und Betrachter und das Vermögen der Sprache, sinnliche Bilder zu evozieren. „Zeigen“ ist bis 10. 1. in der Temporären Kunsthalle zu sehen, Eintritt frei. Foto: Archiv
INTERVIEW TOM MUSTROPH
taz: Frau Sander, was fanden Sie rückblickend bei Ihrem Mammutprojekt am bemerkenswertesten?
Karin Sander: Wie viele Seiten geben Sie mir?
566, das ist die Zahl der in Ihrer Ausstellung zu hörenden Audio-Arbeiten, werden es bedauerlicherweise nicht.
In meiner Arbeit interessieren mich die räumlichen und sozialen Bedingungen eines Ortes, einer vorgegebenen Situation. In diesem Fall führte mich das Anliegen sowie das Selbstverständnis der Temporären Kunsthalle und ihrer komplexen Beziehung zur Stadt und den KünstlerInnen vor Ort zu dieser Arbeit: „Zeigen. Eine Audiotour durch Berlin“. Die Idee entwickelte sich also im Kontext eines Ortes und einer Institution, für die ich versuchte, ein Bild zu finden. Rein lexikalisch in alphabetischer sowie numerischer Reihenfolge angeordnet, stehen die Namen der teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen wie Bildunterschriften auf der Wand; der Raum der Kunsthalle wird damit für die Besucher zur Plattform unterschiedlicher Präsentationen, die hörbar und dadurch sichtbar werden.
Die Ausstellung befindet sich physisch in den Audioguides. Nehme ich eines dieser Geräte aus der Kunsthalle, kann ich die Ausstellung überall hin transportieren. Die Ortsgebundenheit stellt sich daher nur über das Verbot, die Audioguides nach draußen zu bringen, her. Ist das nicht etwas fragwürdig?
Natürlich können Sie ein Werk aus einem Ausstellungskontext entfernen, etwa einen Ad Reinhardt oder einen Bruce Nauman, und dann die Arbeiten außerhalb des Ausstellungsortes ansehen – wenn es erlaubt wäre. Genau so ist es auch mit der Ausstellung „Zeigen. Eine Audiotour“. Auch sie kann an einem anderen Ort gehört und gesehen werden, obgleich sie für die Kunsthalle entstanden ist und im Moment auch nur dort gesehen werden kann.
Irritationen traten auch bei einigen an der Ausstellung beteiligten Künstlern auf, weil ihnen der Umfang nicht deutlich war. Sie fürchten nun, im Feld der 566 Positionen unterzugehen. Zu welchen Bedingungen wurden die Künstler eingeladen?
Für 99 Prozent der KünstlerInnen war die Anzahl der TeilnehmerInnen kein Problem. Viele hatten sich untereinander bereits über ihre Teilnahme verständigt und mir weitere Kolleginnen und Kollegen vorgeschlagen. Andere wiederum fragten bei mir nach und erhielten Antwort. Da ich aber zu Anfang selbst nicht wusste, wie groß die Zahl werden würde und auch in den letzten Tagen und sogar Stunden vor der Programmierung der Geräte die meisten Beiträge erst bei mir eintrafen, war auch erst dann, nach etwa zweieinhalb Monaten Recherche, die definitive Anzahl bekannt.
Eine zweite Irritation betrifft die Dokumentation. Anfangs wurde eine kostenlose Dokumentation in Aussicht gestellt, jetzt muss für die Edition aber bezahlt werden. Kommt hier nicht zu dem durchaus legitimen symbolischen Transfer für die Kuratorin, unter deren Namen der Katalog erscheint, noch ein finanzieller Gewinn zulasten der Künstler hinzu, die ihre Arbeiten ja ohne jegliches Honorar produzierten?
Ich glaube, hier sind Sie nicht richtig informiert. In der Einladung zur Teilnahme an der Ausstellung wurde formuliert, dass es eventuell eine CD geben würde. Da einige KünstlerInnen dies aber aus verschiedenen Gründen nicht wollten, ist die Herstellung einer CD/DVD erst einmal zurückgestellt. Stattdessen gibt es seit heute einen Katalog, den jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer der Ausstellung kostenfrei erhält. Editionen, welche die Kunsthalle herausgibt, unterstützen die Finanzierung der Ausstellungen.
Kann man angesichts der Tatsache, dass Sie nicht einmal alle Beiträge gehört haben und deshalb keine Auswahl treffen konnten, überhaupt von einer kuratierten Ausstellung reden?
Es wurden alle Beiträge angehört, aber nicht zensiert. Bei „Zeigen“ würde ich nicht von einer kuratierten Ausstellung sprechen.
Eine Künstlerin organisiert Arbeiten von Kollegen zu einem neuen Werk. Was bedeutet das?
Man kann es tatsächlich als eine Erweiterung des künstlerischen Werkbegriffes sehen.