Debatte GoogleBooks: Einer muss bezahlen

Kostenlos Bücherlesen im Netz wirft die Frage auf, wie geistige Produzenten zukünftig an Geld kommen. Eine dem technischen Fortschritt adäquate Geschäftsidee ist überfällig.

Der Kampf ums Urheberrecht ist nun auch in Deutschland voll entbrannt. Und das ist gut so. Denn seit GoogleBooks vor fünf Jahren damit begann, die Bestände US-amerikanischer Bibliotheken zu digitalisieren, herrscht große Verunsicherung, insbesondere unter Autoren und Verlegern. Die große Streitfrage ist: Garantieren Unternehmen wie GoogleBooks künftig über das Internet den freien Zugang zum Weltwissen oder enteignen Monopolkonzerne derzeit vor allem dreist die geistigen Urheber und Produzenten?

Und das ist nicht einfach eine Frage, die nur eine gesellschaftliche Minderheit von Schriftstellern und Verlegern betrifft. Nein, die gesamte Wissensproduktion und -vermittlung steht dank technischer Revolution vor einer kompletten Neuorganisierung. Bislang blieben die Rechte an Buchtiteln in der westlichen Welt bis 70 Jahre nach dem Tod eines Autors im Besitz der Erben und Verlage. Mithilfe US-amerikanischer Bibliotheken hat GoogleBook aber längst damit begonnen, auch die jüngeren Bestände vergriffener Werke zu digitalisieren. Die komplexen, damit verbundenen Probleme werden derzeit in den USA vor Gericht verhandelt. Zudem spricht vieles dafür, dass sich E-Books wie das Kindle bald durchsetzen werden und sich der bisherige Markt der Bücher und Printmedien dadurch völlig umgestalten wird.

Entsprechend dramatisch fiel nun der Heidelberger Aufruf "Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte" aus, den auch prominente Schriftsteller wie Julia Franck, Daniel Kehlmann oder Sybille Lewitscharoff unterschrieben (die Verleger von Hanser oder Hoffmann & Campe sowieso): "Autoren und Verleger lehnen alle Versuche und Praktiken ab, das für Literatur, Kunst und Wissenschaft fundamentale Urheberrecht, das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Presse- und Publikationsfreiheit zu untergraben." Laut gebrüllt, Papiertiger. Nur wer solls richten?

Der Staat, die Bundesregierung, die Gesetzgeber, sagt eine erzürnte Publizistenschar von Michael Naumann (Die Zeit) bis KD Wolff (Stroemfeld). "Die Politik steht in der Pflicht, den individuellen Ansprüchen, die sich an die Herstellung von künstlerischen und wissenschaftlichen Werken knüpfen, auf nationaler wie internationaler Ebene Geltung zu verschaffen." Doch ganz so einfach ist das nicht.

Niemand außer ein paar Bilderstürmern dürfte bestreiten, dass sich die Uhr nicht auf die Zeit vor Google und vor der Digitalisierung zurückdrehen lässt. Was einmal in der Welt zirkuliert, verschwindet nicht mehr. Die neuen Technologien bringen Nutzungsmöglichkeiten mit sich, die für Produzenten wie Konsumenten zu reizvoll sind. Erinnert sich heute noch jemand daran, wie der Übergang vom Blei- zum Fotosatz vonstatten ging und die Verleger sich über die Wegrationalisierung eines ganzen (hoch gebildeten!) Berufsstandes gefreut haben?

Oder in der anderen Richtung an die rührigen Raubdrucker, die in den 1970er-Jahren in Deutschland erst linke Literatur und später Bestseller großer Verlage illegal herstellten und sie im Handverkauf auf Straßen und Kneipen vertrieben? Das waren Mundräuber, die das Urheberrecht aus romantischen oder kleinkriminellen Motiven verletzten. Damals entstand eine No-Copyright-Szene, die keine breite Wirkung erzielte, von der sich allerdings die späteren Netzaktivisten ihr Vokabular holten: keine Zensur, freier Zugang für alle zum kulturellen Reichtum usw.

Nur geht es nun im Streit um die Scanner von GoogleBook nicht um irgendwelche kleinen Datenpiraten, sondern um eine sorgsam aufgebaute Konzernmacht, die der Logik einer kapitalintensiven und weltumspannenden Angelegenheit folgt, aber genau deswegen auch viel zur Beunruhigung beiträgt.

Doch, und das ist die wirkliche Frage, um die es jetzt bei dem Heidelberger Aufruf geht: Wer bezahlt künftig für die intellektuelle Produktion, wenn die Werke allen mehr und mehr frei verfügbar sein sollen? Was passiert mit unabhängigen Künstlern und Wissenschaftlern, die es ja auch gibt, wenn ihre Urheberschaft auf ihre Werke nicht mehr anerkannt und honoriert würden, wie wollten sie künftig produzieren und leben?

Mit der versprochenen Demokratisierung durch Digitalisierung wäre es dann nicht mehr weit her, wenn nebenbei die Produktion an der Basis ausgetrocknet würde. Intellektuelle Arbeit könnten sich nur noch Staatsangestellte, von Haus aus Wohlhabende oder eben Konzernangestellte leisten. Doch was dennoch in dem besagten Aufruf deutscher Geistesgrößen merkwürdig klingt: Es findet sich kein einziger Hinweis auf eine eigene selbsttätige, unternehmerische Praxis, auf ein neues Regulationsmodell, das auf den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt adäquat reagierte. Und das scheint wiederum typisch für die vermeintlichen Publikationseliten in Good-Old-Europe. Auf die globale technisch-kulturelle Revolutionen aus Übersee reagieren viele vor allem mit dem Ruf nach dem protektionistischen Staat. So überspielt man nebenbei, dass man sich hier zu einer eigenen global-digitalen und moralisch wie sozial überlegenen Geschäftsidee bislang nicht hat durchraufen können. Ganz offensichtlich liegt die Stärke von Google, Amazon, Sony, Youtube und Co in der Verschlafenheit der alteuropäischen Konkurrenz.

Dem Konsumenten in Deutschland kanns egal sein, ob deutschsprachige Literatur aus US-amerikanischen Bibilotheksbeständen eingescannt wurde oder aus deutschen. Doch Schadenfreude ist keineswegs angebracht, solange nicht geklärt ist, wer die Rechnung für die individuelle Wissens- und Kunstproduktion künftig übernehmen soll. Dabei könnten bezahlte Downloads genauso eine Möglichkeit bieten wie eine Ausweitung der Tätigkeit der VG Wort auf den digitalen Bereich. Diskutiert wird auch, ob Google nicht dazu verpflichtet werden könnte, Beiträge an die Künstlersozialkasse zu entrichten.

Durchschnittlich gebildete User wissen aber schon heute, dass der Konsum immaterieller Werke aus Kunst und Wissenschaft weiterhin etwas kosten muss. Zudem werden die jeweilige Materialästhetik und die an Material gebundenen Nutzungs- und Fälschungsmöglichkeiten traditionellere Kommunikationsträger wie das gedruckte Buch nicht überflüssig machen. In der Regel schaffen die neuen Technologien vor allem auch Zusatzmärkte. Umsonst gibt es etwas nur dann, wenn andere dafür bezahlen. Google lebt vom Anzeigengeschäft, wovon Kulturproduzenten ohne starke Rechtsberatung derzeit nichts haben. Das lässt sich aber ändern, und unter Umständen werden die Gerichte in den USA dazu schon Anfang Juni Wegweisendes sagen. Das alte Urheberrecht ist tot, es lebe das neue.

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Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Leitet seit 2007 das Kulturressort der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.

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