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Archiv-Artikel

Blühender Unsinn

OPERETTENLESUNG Wolfram Berger liest Offenbachs Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ in der Übersetzung Karl Kraus’ – als Parforceritt durch alle Rollen

Leidenschaftlich hat Karl Kraus für seine „wahre Erneuerung Offenbachs“ gestritten

VON ROBERT MATTHIES

Leidenschaftlich hat Karl Kraus im letzten Jahrzehnt seiner Fackel für seine „wahre Erneuerung Offenbachs“ gestritten, „welchen ich für den überhaupt größten satirischen Schöpfer aller Zeiten und Kulturen erachte.“ Eigentlich gar keine Operetten seien Jacques Offenbachs Musiktheaterstücke, sondern „Offenbachiaden“ – ein eigenes Genre für sich, zugleich schwungvoll-unbeschwerte und tiefsinnige Satiren auf das Second Empire, ein Reich „heiterer Unmöglichkeit“ und „phantasiebelebender Unvernunft“: Die „souveräne Planlosigkeit … kehrt sich bewußt gegen die Lächerlichkeit einer Kunstform, die im Rahmen einer planvollen Handlung den Unsinn erst zu Ehren bringt“. Und leidenschaftlich hat Karl Kraus gegen Offenbachs Eingemeindung in die pompöse Rührseligkeit der Wiener Operette gestritten. Besser sei es, Offenbach gar nicht aufzuführen, „als durch verleharte Ensembles eine Mehlspeis aus ihm zu machen“.

Etliche Vorlesungen hat Kraus Offenbach im Rahmen seines „Theaters der Dichtung“ gewidmet. Und dabei auch Offenbachs Opèrette bouffe „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ als „geniale Bloßstellung der dynastisch-militaristischen Wahnwelt“ in eigener Übersetzung mit Klavierbegleitung gelesen und gesungen: Das fiktive deutsche Herzogtum Gerolstein erklärt dem Nachbarn den Krieg – damit sich die junge Regentin nicht langweilt. Der aber nimmt einen unvorhergesehenen Verlauf, als sich die Großherzogin bei der Inspektion der Truppen in den einfachen Soldaten Fritz verliebt, den sie flugs die Karriereleiter hinaufklettern lässt und schließlich zum Heerleiter ernennt, der den Gegner mit seiner Bauernschläue besiegt – indem er dessen Soldaten betrunken macht. Als er sich den Avancen der Großherzogin aber trotz aller Begünstigung entzieht und das Bauernmädchen Wanda heiratet, wird er wieder degradiert.

Vor zwei Jahren hat der österreichische Schauspieler und „Wortjongleur“ Wolfram Berger Karl Kraus’ Bearbeitung von Offenbachs turbulenter Satire auf Militarismus, Günstlingswirtschaft und Kleinstaaterei in einem „Klangbuch“ des Mandelbaum Verlags nebst bibliophilem Booklet mit zwei Vorlesungen Kraus’, Illustrationen von Linda Wolfsgruber und historischen Abbildungen wiederbelebt.

Begleitet vom Pianisten Theocharis Feslikidis liest und singt Berger, der sich nicht zuletzt deshalb gern als „Jazz-Schauspieler“ bezeichnet, alle neun Rollen nebst murmeldem Volk in einem bemerkenswert virtuosen Solo-Parforceritt selbst. Am Montagabend sind Berger und Feslikidis mit ihrer Kraus’schen Offenbach-Erneuerung in der Vers- und Kaderschmiede zu Gast.

■ Mo, 11. 2., 20 Uhr, Polittbrüro, Steindamm 45