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Archiv-Artikel

SPD misstraut Volkes Stimme

Einfachere und weitreichendere Volksbegehren im Land lassen sich bis zur Wahl nicht durchsetzen, glaubt die SPD-Fraktionsspitze. Damit ist der Plan gestorben, fürchtet der Verein Mehr Demokratie

von ULRICH SCHULTE

Die BerlinerInnen müssen wohl bis auf weiteres auf mehr Macht verzichten. Einflussreiche Volksbegehren auf Landesebene und den Abbau der zuvor zu nehmenden Hürden hatten SPD und PDS den Bürgern 2001 im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt – doch es ist mehr als fraglich, ob sie ihr Versprechen halten.

In der Spitze der SPD-Fraktion mehren sich die Zweifel daran, dass sich die nötige Verfassungsänderung noch in dieser Legislaturperiode verwirklichen lässt: „Ein so komplexes Thema mitten im kommenden Wahlkampf zu entscheiden macht keinen Sinn“, sagt Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD. „Jede Partei würde versuchen, sich mit Maximalpositionen zu profilieren – zum Schaden des Gesetzes.“

Die Koalition, die in den Bezirken seit Mitte Juli weitreichende Bürgerentscheide möglich gemacht hat, lässt die BürgerInnen damit bei der – in den meisten Sachfragen entscheidenden – Landespolitik außen vor. Bis zur Abgeordnetenhauswahl im September 2006 könnten höchstens noch Formalia oder kleinere Verfahrenserleichterungen erledigt werden, sagt Gaebler – wie zum Beispiel einfach auszufüllende Unterschriftenlisten. „Bei grundlegenden Sachen wie den Beteiligungsquoren bin ich skeptisch.“ In der SPD-Fraktion gilt die Devise: Erst mal abwarten, wie’s in den Bezirken funktioniert. Und dann nach der Wahl mit voller Kraft im Land durchstarten.

Die PDS, der direkte Demokratie mehr am Herzen liegt, ist ambitionierter: „Wir sehen durchaus die Chance, dass wir das bis zur Wahl noch schaffen“, sagt Peter-Rudolf Zotl, der in der PDS-Fraktion für das Thema zuständig ist. Er zählt die Herzenswünsche der Sozialisten auf: Die Quoren müssten niedriger angesetzt, die Ausschlussgründe „radikal durchforstet“ werden. Denn seit In-Kraft-Treten der Berliner Verfassung 1995 sind Volksbegehren zwar erlaubt, ihnen aber gleichzeitig sehr enge Grenzen gesetzt (siehe Kasten). Verboten sind zum Beispiel Themen, die den Landeshaushalt betreffen. Fast alle Initiativen, etwa eine gegen den Bau des Transrapids 1998, sind daher gescheitert.

Laut Zotl wollen die Spitzen der Fraktionen und die Geschäftsführer in kleiner Runde noch einmal über den Zeitplan für eine mögliche Verfassungsänderung reden. Auch Gaebler betont: „Entschieden und abgestimmt ist noch nichts.“ Dennoch geben Experten der Idee, Bürger auch an der Landespolitik stärker zu beteiligen, keine Chance mehr. „Hinter dem Abrücken der SPD steckt eiskalte Strategie. Sie hatte bei dem Thema immer Bauchschmerzen“, sagt Michael Efler vom Verein Mehr Demokratie Berlin. Für ihn ist klar: „Die SPD bricht ein Versprechen, das sie den BürgerInnen gegeben hat.“

Dabei spräche aus seiner Sicht alles für ein schnelles Durchstarten nach der erfolgreichen Reform in den Bezirken: Alle Parteien – ausgenommen die CDU – finden die Idee inhaltlich sympathisch. Auch ein praktisches Argument spricht dafür: Für die Änderung der entscheidenden Verfassungsartikel ist eine Volksabstimmung nötig. „Die könnte man bei der Abgeordnetenhauswahl wunderbar gleich mit erledigen. Das spart Geld“, sagt Efler. Fachleute schätzen die Kosten für eine Volksbefragung außer der Reihe auf 2 bis 3 Millionen Euro.

Wie schwierig ein Volksbegehren auf Landesebene derzeit ist, muss gerade die Initiative Bankenskandal erfahren. Sie wollte per Begehren das Gesetz zur umstrittenen Risikoabschirmung der Bankgesellschaft kippen. Nächste Woche fällen die Richter das Urteil, die Chancen stehen schlecht. Grund: Das Gesetz betrifft den Landeshaushalt, vorsichtig gesagt, grundlegend.