Erziehungsnotstand: Schummeln bei Kitaqualität

ErzieherInnen verbringen weniger Zeit mit Kindern als vorgeschrieben. Gewerkschaften warnen vor Erziehermangel und fordern eine Qualitätsoffensive in Kitas.

Oft kommen auf 15 Kinder nur eine Erzieherin. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Personalausstattung in Kitas ist schlechter als bisher angenommen. Viele Einrichtungen haben weniger Fachkräfte pro Kind als in den Ländergesetzen vorgeschrieben ist. Das zeigt eine Studie, die Sozialverbände und die Erziehungsgewerkschaft GEW am Donnerstag in Berlin vorgestellt haben.

"In den Kitas gibt es zu wenig Personal, um die in den Bildungsplänen formulierten Ziele umzusetzen", sagte Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er forderte eine Qualitätsoffensive. Cord Wellhausen vom Paritätischen Gesamtverband kritisierte: "Nicht selten ist in der Praxis nur eine Erzieherin für 15 Kinder verantwortlich."

"Wir haben eine große Intransparenz und große Unterschiede in den Ländern über die Personalschlüssel", sagte Susanne Viernickel von der Alice Salomon Hochschule Berlin, die in ihrer Studie analysiert hat, wie viele Kinder eine Erzieherin betreuen sollte und wie sich das in tatsächlichen Betreuungsschlüsseln widerspiegelt. Viele Länder berechnen demnach den Personalschlüssel vereinfacht: über die gesamte Bruttojahresarbeitszeit der ErzieherInnen. Die entspräche nicht der Realität, sagte Viernickel. Man müsse Ausfallzeiten durch Krankheit, Urlaub oder Fortbildung einberechnen - und Zeiten für die Vor- und Nachbereitung. "Die Zeit, die die Erzieherinnen mit Kindern wirklich verbringen, verringert sich dadurch." Viele Länder hätten deutlich schlechtere Fachkraft-Kind-Relationen als in Betreuungsschlüssel angegeben seien, so Viernieckel. Sie schätzt, dass die realen Zahlen 20 bis 30 Prozent darunter liegen.

In ihrer Studie hat Viernickel zudem internationale wissenschaftliche Standards zu Betreuungsschlüsseln analysiert. Die Schwellenwerte, ab denen das "Wohlbefinden von Kindern negativ beeinflusst wird" liegen bei unter Dreijährigen bei 1:3 bis 1:4, und bei drei bis Sechsjährigen bei 1:8. "Diese Standards werden praktisch in keinem Bundesland erreicht", sagte Viernickel.

Bereits der "Länderreport Frühkindliche Bildung" von der Bertelsmann Stiftung hatte 2008 aufgezeigt, dass für unter Dreijährige nur vier Bundesländer einen Personalschlüssel von unter 1:5 haben: Das Saarland, Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen. Ostdeutsche Länder hätten im Schnitt zwar mehr Plätze, doch die Betreuungsschlüssel seien im Westen besser.

Am Donnerstag begann nach Warnstreits in Kitas am Vortag die Urabstimmung für unbefristete Streiks.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.