Fehmarnbelt: Müde Entscheidung

Nach Mitternacht sollen am Freitag im Bundestag die Abgeordneten die Brücke über die Ostsee abnicken. Große Koalition will Projektgegner einschläfern, kritisieren SPD-Politiker aus Schleswig-Holstein.

Fast keiner da: Bei der Fehmarnbelt-Entscheidung im Bundestag könnten die Ränge leer sein - oder die Abgeordneten eingeschlafen. Bild: dpa

Peter Ninnemann ist stocksauer: "Wir sollen mundtot gemacht werden", vermutet der SPD-Gemeinderat des Ostseebades Timmendorfer Strand. Einigen im Bundestag sei wohl "eine weitere Diskussion nur lästig". Und auch der SPD-Landtagsabgeordnete Bernd Schröder beklagt, von den "Bundis in Berlin" keine genauen Auskünfte zu erhalten. Er habe erfolglos versucht, "Licht ins Dunkel zu bringen".

Der Grund für die Empörung ist der Terminplan für die deutsche Entscheidung über die Fehmarnbelt-Brücke. Diese wurde von der Großen Koalition kurzfristig vorgezogen - von Mitte Juni auf kommende Woche.

Das dänische Forschungsschiff "Miljö" ist seit vorigen Montag im Fehmarnbelt unterwegs.

Es soll zweieinhalb Jahre lang Daten über Strömungsverhältnisse, den Salz- und Sauerstoffgehalt des Wassers und andere Informationen sammeln. Dazu fährt die "Miljö" (zu Deutsch: "Umwelt") einmal im Monat sechs Tage lang mehr als 80 Messpunkte ab.

Die staatliche, dänische Realisierungsgesellschaft Femern Bælt AS lässt sich diese Untersuchungen runde 40 Millionen Euro kosten.

Aus den Daten sollen Rechenmodelle zu möglichen Auswirkungen einer Brücke auf die Meeresumwelt entwickelt werden.

Oberstes Ziel des Programms sei es, negative Auswirkungen der geplanten Straßen- und Eisenbahnverbindung auf die Umwelt zu vermeiden oder sie "zumindest so gering wie möglich" zu halten, so die Planungsgesellschaft.

Die jetzt veröffentlichte Tagesordnung für die am nächsten Donnerstag um neun Uhr beginnende 224. Sitzung sieht die zweite und dritte Lesung des Zustimmungsgesetzes ohne Debatte vor - bei Einhaltung des beigefügten Zeitplans dürfte die Abstimmung nicht vor ein Uhr früh am Freitagmorgen erfolgen, möglicherweise sogar noch später.

Die Koalition versuche, das Gesetz "in einer Nacht- und Nebelaktion durchzupeitschen", schimpft Christiane Stodt-Kirchholtes, Fraktionschefin der Grünen im Gemeinderat der Insel Fehmarn.

Zuerst der Bundestag und dann der Bundesrat müssen dem Staatsvertrag zustimmen, in dem der Bund und das Königreich Dänemark im September vorigen Jahres den Bau einer Fehmarnbelt-Querung im Grundsatz beschlossen hatten.

Bei der CDU im Reichstag kann man die Aufregung nicht nachvollziehen. Die Gesetzeslesung sei keineswegs klammheimlich von der Regierungskoalition vorgezogen worden, heißt es aus dem Büro der Fraktionsgeschäftsführung: "Das ist ein übliches Verfahren."

Wenngleich ein unstrittig kurzfristiges. Denn die Auswertung einer Expertenanhörung vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages am 6. Mai liegt noch nicht vor. Bis Mitte nächster Woche allerdings soll das nachgeholt werden, so die Auskunft, damit die Abgeordneten auch wissen können, worüber sie abstimmen sollen.

Bei dem Hearing hatte der Münchener Verkehrsberater Karlheinz Rößler eine Fehmarnbelt-Querung für "wirtschaftlich unnötig" erklärt. Er monierte unter anderem veraltete, wirtschaftliche Rahmendaten. In Frage komme allenfalls eine Querung mit zweispuriger Straße und einem Bahngleis.

Als noch schwerwiegender muss die Kritik des Bundesrechnungshofs gelten. Er rügte in seiner Stellungnahme, dass bisher keine Kosten nachvollziehbar exakt beziffert wurden. Die dem Parlament vorgelegten Zahlen zu den Kosten der Straßen- und Bahnanbindungen würden auf Preisen aus dem Jahr 2002 basieren und ein erhoffter Zuschuss der EU "auf der Kippe" stehen. Zudem habe das Bundesverkehrsministerium selbst eingeräumt, dass für Großprojekte Preissteigerungen von 60 bis 100 Prozent nichts Ungewöhnliches seien. Danach soll der Ausbau der Straßen- und Schienenanbindung auf deutscher Seite rund 840 Millionen Euro kosten. Der Bundesrechnungshof befürchtet jedoch eine Verdoppelung auf rund 1,7 Milliarden Euro.

Den Bau der eigentlichen Brücke will Dänemark aus eigener Tasche finanzieren und über Mauteinnahmen refinanzieren. Die Kosten für das knapp 20 Kilometer lange Bauwerk wurden bislang mit 4,4 Milliarden Euro veranschlagt. Sollte sich die Skepsis des Bundesrechnungshofes bestätigen, könnten daraus leicht 6,8 bis 8,8 Milliarden Euro werden. Aber selbst ohne Kostensteigerungen würde sich wegen "zu optimistischer Verkehrsprognosen" das Projekt "nicht refinanzieren". Mit anderen Worten: Alle vorliegenden Zahlenwerke haben die Einnahmen hoch gerechnet und die Kosten herunter.

Aber vielleicht fällt das ja nachts um eins niemandem mehr auf.

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