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Kolumne Später mehrÖffentlichkeit und Erfahrung

Antiautoritär, das war nicht die Forderung nach flacher Hierarchie im sonnigen Büros. Das war die Forderung nach der Erfahrbarkeit sozialer Wirklichkeit.

W as "antiautoritär" einmal bedeutet hat, wie sich antiautoritäre Stimmungen mit allen Zweifeln, Risiken und Euphorien von Innen angefühlt haben, ist unter sentimentalen Erinnerungen, Psychologisierung, Revisionismus und Guidoknoppisierung verschüttet. Dabei sind ohne dieses mentalitätsgeschichtliche Missing Link alle Antworten auf die Frage unmöglich, warum immer noch so viel und nun schon wieder von 68 geredet wird.

Natürlich hatte Oskar Negt recht, als er in der SZ vom 22. Mai zu Protokoll gab, Stasi und Springer-Presse hätten "gewissermaßen in einer Linie" gestanden. Natürlich hat Wolfgang Kraushaar unrecht, wenn er darin eine unzulässige Gleichsetzung von Geheimdienst und Pressekonzern sieht, denn es war ja nur um diesen Aspekt beider Institutionen gegangen: ihr Verhältnis zu einer antiautoritären Revolte. Nicht wie sie sonst so organisiert waren, wie ihre Mitarbeiter rochen und welche Hässlichkeitskompetenzen sie hatten - obwohl es auch da Gemeinsamkeiten gegeben haben wird.

Die universelle Zuständigkeit von Kraushaar für alles, das mit 68 zu tun hat, wird nur noch übertroffen von der universellen Zuständigkeit von Herfried Münkler für globale Konflikte und eigentlich überhaupt für alles. Man neigt dazu, sich mit der relativen Größe von Übeln zu trösten. Klar, Kraushaar ist immer noch besser als Götz Aly. Aber so getröstet kann man lange darauf warten, das weggerutschte Wort "antiautoritär" noch einmal richtig in die Hand zu nehmen, zu verstehen, welche in sozialen Auseinandersetzungen erworbene Körperlichkeit es einmal gemeint hat.

Vor ein paar Wochen verstarb Stefan Brecht, Sohn des gleichnamigen Bertolt, Dichter, Journalist, Exzentriker, Theatergänger: Er hatte seit den mittleren 60ern alles gesehen, was es in New York an Avantgardetheater gab. In seinem Queer Theatre gibt es einen fulminanten Exkurs über den Begriff des "authoritarian phony (a. p.)", dem die in den 60ern neu entstandene "free person (f. p.)" entgegengesetzt wird. Dabei fällt auf, dass man sich an den spießigen Zwangscharakter, das risikoscheue, hyperventilierend aggressive, autoritäre Arschgesicht durchaus noch gut erinnern kann (obwohl gerade er weitgehend mit dem Fordismus untergegangen ist beziehungsweise sich in die Unsichtbarkeit der Unterschichten oder der Traditionalismen verfügt hat), während man seinen Gegner völlig vergessen hat.

Bild: Rüdiger Scheschtag

Diedrich Diedrichsen, Jahrgang 1957, ist Kulturkritiker und Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er lebt in Wien und Berlin.

Die f. p. ist bei Brecht vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie etwas von anderen will. Sie will soziale Erfahrungen machen, das ist ihr oberstes Ziel. Sie drängt gegen Regeln, aber auch gegen die Beliebigkeit von Tausch- und Konsumbeziehungen zur Wahrheit der sozialen Berührung. Sie ist süchtig nach Steigerungen sozialer Dichte und gründet unausgesetzt "Familien", die quasi als Zwischenergebnisse den sozialen Trieb verstetigen helfen, zugleich aber neues Material bilden. Natürlich lässt sich vieles auch gegen diese Figur sagen. Wir kennen sie als Intensitätsnerver, haben erlebt, wie ihr Drang zum anderen ins Autoritäre umschlägt, und haben viel Unmittelbarkeitskitsch in ihren Memoiren gelesen, heute quengelt sie zuweilen altersradikal. Aber einen Vorteil hat die f. p.: Anders als andere Produkte der antiautoritären Bewegung ist sie nicht zu einem Erfolgsmodell von Postfordismus und Neoliberalität aufgestiegen; allenfalls ein paar aus ihrem Programm herausgelöste Teile.

Während Flexibilität, Identifikation mit dem eigenen Tun, Authentizität - und was dergleichen exantiautoritäre Werte mehr sind - heute den neuen Geist des Kapitalismus prägen, ist die f. p. aussortiert. Ihr Insistieren auf ihre soziale Wahrheit geht an allem vorbei, was heute läuft: Narzissmus, Konkurrenzkampf und sozial folgenlose Bespaßung. So wenig es hilft, sich an Anachronismen zu orientieren, wenn man ein gegenwärtig herrschendes Prinzip bekämpfen will, es könnte helfen, den heute wirksamen Antagonismus besser zu benennen, jenseits ödipaler Feindbildvermisstenanzeigen: Antiautoritär - das war nicht die Forderung nach flachen Hierarchien in sonnigen Büros, das war die Forderung nach der Erfahrbarkeit sozialer Wirklichkeit. Die verhindert heute nicht mehr die Autorität, sondern Karikaturen alter Forderungen. Verhindert bleibt sie allemal.

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