Häusliche Gewalt: Macho-Kultur ade

Migrantinnen nutzen mehr Hilfsangebote. Auch die muslimischen Verbände beziehen öffentlich Position und lehnen Gewalt an Frauen deutlich ab

Machismo hat keine Zukunft Bild: DPA

2008 waren 38 Prozent der Klientinnen des Bremer Notrufs für vergewaltigte Frauen und Mädchen e. V. Migrantinnen. Darunter größtenteils türkischstämmige, gefolgt von polnisch- und russischstämmigen Frauen. Sie kommen wegen häuslicher und sexueller Gewalt, Vergewaltigungen oder auch Zwangsverheiratungen.

"Wir merken, dass die Frauen offener sind und dass es ein größeres Problembewusstsein gibt", sagt die Notruf-Psychologin Berna Müküs-Kaya. Sie kämen nicht nur auf Rat von Ärzten, Anwälten oder der Polizei, sondern immer öfter auch durch "Mund-zu-Mund-Propaganda innerhalb der Communities".

Auch dort ist der Umgang mit diesen Problemthemen offensiver geworden. Mit deutlichen Worten hat etwa die Schura Bremen Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde als patriarchalisch geprägte Vorstellungen von Ehre und Schande abgelehnt. In einer Ende Mai verbreiteten Erklärung des Dachverbandes von rund 30 muslimischen Vereinen in Bremen wird auch das Problemfeld häusliche Gewalt aufgegriffen. Eine ähnliche Erklärung bereitet die Ditib in Bremen vor, der Dachverband der Türkisch Islamischen Union.

Von einem "Herrschaftswahn über die Frau" ist bei der Schura die Rede, der weder aus dem Islam entstanden, noch mit dem Islam zu legitimieren sei - sondern Folge eines traditionell und soziokulturell bedingten "archaischen Ehren- und Stammeskodex" und einer "entsprechenden Macho-Kultur".

Die Erklärung sei vor allem "eine Botschaft nach innen", sagt der Schura-Sprecher Mehmet Kilinc. Und das Ergebnis eines "Reifungsprozesses" innerhalb der Mitgliedsvereine: "Wir wollen nicht nur auf Themen von außen reagieren", erklärt Kilinc, sondern gesellschaftlich relevante Themen diskutieren und mit Stellungnahmen einen Konsens formulieren. "Was die Mehrheit bewegt, bewegt uns auch", sagt er. Zudem sei eine solche Erklärung wichtig, "damit unsere Position nach außen deutlich ist, wenn es einen aktuellen Fall gibt". Sonst wirke man irgendwann unglaubwürdig.

Fast zeitgleich mit der Schura-Erklärung erschien der mittlerweile vierte Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe "Häusliche Beziehungsgewalt", mit dem sich der Senat Ende Mai befasste. Daraus geht hervor: Häusliche Gewalt bleibt ein gesellschaftliches Problem, wobei MigrantInnen nach wie vor einen hohen Anteil der Betroffenen ausmachen. Verändert habe sich jedoch das Verhalten migrantischer Opfer: 1.200 Beratungen von Migrantinnen habe es allein in den Frauenhäusern in Bremen und Bremerhaven in den vergangenen zwei Jahren gegeben. Ein deutlicher Anstieg, so der Bericht.

Die Schura würde gerne selbst Beratungen anbieten. Der Bedarf sei da, sagt Kilinc. Er beobachte eine große Verunsicherung in muslimischen Familien. "Gewohnte Verhaltensmuster wirken hier in Deutschland oft nicht", sagt er, "viele versuchen es dann mit Druck". Familiäre Probleme würden häufig verheimlicht, statt sie in der muslimischen Community zu thematisieren. Bislang ist die Schura Ansprechpartner für Polizei, Sozialämter oder Beratungsstellen und wird als Schlichter hinzugezogen. Für eigene Beratungsstellen fehlen ihr aber die Gelder. "Wir machen das bis jetzt alles ehrenamtlich", sagt Kilinc.

Auch der Notruf möchte sein Angebot für Migrantinnen ausweiten und eine "Transkulturelle Ambulanz" aufbauen - aber hier fehlen ebenfalls die finanziellen Mittel. "Das Zufriedenstellen des Mannes gehört für viele als Verpflichtung zur Ehe dazu", erklärt die türkisch- und kurdischsprachige Psychologin Müküs-Kaya. "Die eigentlichen Ursachen für psychosomatische Leiden wie Panik, Kopfschmerzen oder Atemnot sind den Frauen oft erst gar nicht klar", sagt sie.

Statt einer "Transkulturellen Ambulanz" mit mehr Kapazitäten für die Betreuung von Migrantinnen gibt es beim Notruf bislang nur einen Arbeitskreis aus EthnologInnen, PsychoanalytikerInnen und MigrantInnen. Mit dem trifft sich das Notruf-Team regelmäßig, um sich für die Arbeit mit migrantischen Klientinnen zu sensibilisieren. "Gewalt ist kein Problem einzelner Gruppen, sondern ein kulturübergreifendes", sagt Müküs-Kaya. "Dafür muss die gesamte Gesellschaft Verantwortung übernehmen."

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