Debatte Klimakrise: Konjunkturpakete fürs Klima

Im Dezember beschließt die UN das Nachfolgeabkommen des Kioto-Protokolls. Der Stand der Verhandlungen verheißt nichts Gutes.

Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise kann es die Klimakrise weder medial noch politisch aufnehmen. Vor allem die Regierungen der Industriestaaten offenbaren eine erschreckende Führungsschwäche, einen eklatanten Mangel an Mut, Entschlossenheit und Vorstellungskraft, sich der historischen Dimension des Klimaproblems zu stellen. Allerdings wird im Dezember von den 192 Staaten der UN-Klimakonvention der wohl wichtigste Klimavertrag der Geschichte beschlossen: das Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kioto-Protokoll. Zwei Punkte könnten zu Sargnägeln dieses neuen Vertrags werden.

Zum einen ist dies die fortgesetzte Weigerung der Industriestaaten, den Warnungen der Klimawissenschaftler zu folgen und sich zu angemessenen Reduktionszielen zu verpflichten. Die Experten sind eindeutig: Die weltweiten CO2-Emissionen müssen nach einem letzten Peak ab etwa 2015 massiv sinken. Für die Industrienationen bedeutet das CO2-Reduktionen bis 2020 von 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990 und bis zur Mitte des Jahrhunderts um mindestens 80 Prozent. Nur dann besteht eine, wenn auch keineswegs sichere Chance, den Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius begrenzen zu können. Eine Marke, über der die Folgen des Klimawandels als nicht mehr kontrollierbar gelten.

Dessen ungeachtet schachern die USA, Japan, Kanada und Australien, aber auch die EU-Staaten am Verhandlungstisch, als hätte es die Berichte des Weltklimarates von 2007 nie gegeben. Mit ihren bisherigen Zusagen zur Reduktion von CO2 würden die Emissionen der Industrieländer bis 2020 nur um 8 bis 15 Prozent sinken. Das heißt, die Temperatur wird sich nicht um zwei, sondern eher um drei Grad erhöhen. Hinter Temperaturangaben und Prozentzahlen verbergen sich allerdings ökonomische, ökologische und humanitäre Krisen neuen Ausmaßes. "Zwei bis drei Grad Erwärmung" ist nur ein anderer Ausdruck für den Kollaps des Amazonasurwaldes bis 2050, für das Verschwinden der Küsten und Inseln unter dem stetig steigenden Meeresspiegel, für 200 Millionen Klimaflüchtlinge in den nächsten Jahrzehnten.

Der zweite Sargnagel für ein neues Klimaabkommen besteht in der Weigerung der Industrienationen, den Entwicklungsländern ausreichend Geld und Technologien zur Minderung ihrer Emissionen, vor allem aber zur Anpassung an die bereits unvermeidbaren Folgen des Klimawandels bereitzustellen. Bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr wären dafür nötig. Ein Vielfaches davon - rund 440 Milliarden Euro - stellte die EU als Stützung für angeschlagene Banken zur Verfügung, neben Garantien über 2.300 Milliarden Euro. Dennoch weigerten sich die EU-Finanzminister letzte Woche hartnäckig, auch nur die Größenordnung zu benennen, die ihnen ihre eigene Expertengruppe errechnet hatte. Die Entwicklungs- und Schwellenländer ihrerseits machen ehrgeizige Reduktionsziele sowie umfangreiche Finanz- und Technologietransfers zur Voraussetzung für ein neues Klimaabkommen.

Krise, Wandel und Handeln

In dieser verfahrenen Situation sieht es bisher nicht so aus, als würde der neue US-Präsident Obama die auf ihn gerichteten Hoffnungen rechtfertigen. Unbestreitbar ist in den USA vieles in Bewegung geraten: Obama bezeichnet den Klimaschutz als Priorität, und der US-Kongress verhandelt ein Gesetz, das erstmals einen nationalen Emissionshandel mit entsprechenden CO2-Obergrenzen vorsieht. Bis 2020 will Obama mit diesen und weiteren Maßnahmen jene 15 Prozent CO2-Emissionen abbauen, die die USA seit 1990 zugelegt haben. Seine Klimadiplomaten verbreiten Aufbruchstimmung, laden Umweltverbände zum Austausch ein und fordern einen neuen, für alle Nationen bindenden Klimavertrag von Kopenhagen.

Faktisch aber wollen die Amerikaner weiterhin weder das alte noch ein neues Kioto-Protokoll. Sie lehnen es ab, sich international auf ein Klimaziel bis 2020 zu verpflichten, und wollen nur einem langfristigen Ziel von minus 80 Prozent bis 2050 zustimmen. Nach seinem Wahlsieg hatte Obama erklärt, beim Thema Klima sei Verschieben "keine Option". Genau diese Option wählt der Präsident aber, wenn er für die USA international nur ein Ziel in 40 Jahren akzeptiert. Eine Industrienation, die mit nur viereinhalb Prozent der Weltbevölkerung 20 Prozent der weltweiten Emissionen erzeugt, muss mehr bieten. Obama hat den Kampf gegen den Klimawandel noch nicht wirklich begonnen.

Wie also weiter? Sicher, die beiden größten CO2-Emittenten der Erde müssen sich verständigen. Zugeständnisse an den Erzkonkurrenten China etwa beim Transfer von Know-how und Technologie sind in den USA zwar innenpolitisch hochexplosiv, könnten aber einem Deal den Weg ebnen, der den Amerikanern umgekehrt Spielraum für schwächere Reduktionsziele einbringt. China wird umgekehrt freiwilligen Zielen in ausgewählten Industriebereichen zustimmen. Aber ist ein lauer Kompromiss das, was der Klimaschutz braucht?

Die Finanzkrise hat gezeigt, was möglich ist, wenn eine Krise als kollektive, globale Krise erkannt und erlebt wird. Quasi im Handstreich wurden und werden Billionen von Dollar zur Rettung kollabierender Banken, angeschlagener Autokonzerne und siechender Konjunkturen mobilisiert. Nach Jahren der Entpolitisierung der Wirtschaft und der massiven Zurückdrängung staatlicher Regulierung wurden dem Staat parteiübergreifend und im Schnellverfahren massive Eingriffsrechte in Unternehmens- und Wirtschaftsstrukturen zugestanden.

Heute liegen alle Fakten auf dem Tisch, die beweisen: Der Klimawandel ist eine globale, kollektive Krise, mit dem Unterschied, dass seine Folgen diejenigen der gegenwärtigen Krise bei weitem übertreffen werden. Europäer und Amerikaner müssen die Klimakrise mit derselben Entschlusskraft angehen und in Kopenhagen gemeinsam vorangehen. Deutlich höhere Reduktionsziele, staatliche Regulierung klimaschädlicher Industrien und massive Investitionen in den Aufbau regenerativer Energieerzeugung sind die Eckpfeiler. Das Treffen der Bundeskanzlerin Ende Juni mit Präsident Obama könnte ein Anfang dafür sein.

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