Nach Brand in Abschiebegefängnis Schiphol: "Opfer als Sündenbock"
Vier Jahre nach dem Brand in Schiphol ist der Angeklagte nun doch nicht verantwortlich für den Tod seiner Mitgefangenen. Schuld war vielmehr mangelnde Brandsicherheit.
AMSTERDAM taz | Der Brandstiftung ist Ahmed Issa al-Jabali schuldig, für den Tod von elf Gefangenen jedoch nicht verantwortlich: zu diesem Urteil kam ein Berufungsgericht in Amsterdam am Donnerstag.
Damit endete der zweite Prozess um den Brand im Abschiebegefängnis am Flughafen Schiphol, bei dem im Oktober 2005 elf Insassen durch Kohlenmonoxidvergiftungen ums Leben gekommen waren. Die 18-monatige Haftstrafe, die das Gericht für al-Jabali beschloss, hat er indes längst abgesessen.
Der damals 25-jährige Libyer, selbst einer der Insassen, soll das verheerende Feuer mit einer weggeworfenen Kippe ausgelöst haben. 2007 wurde er wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Dagegen legten sowohl er selbst wie auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein.
Die Verteidigung plädierte angesichts schwerer Versäumnisse bei der Brandsicherheit in dem provisorischen Zellenkomplex und des noch immer ungeklärten Brandverlaufs auf Freispruch. Die Staatsanwaltschaft hingegen hatte zunächst eine höhere Strafe gefordert.
Schon während des Verfahrens revidierte sie dies jedoch. Zu widersprüchlich waren die Gutachten verschiedener Experten, die Entstehung und Verlauf des Feuers untersucht hatten. Ob die Zelle al-Jabalis tatsächlich Ausgangspunkt des Brandes war, blieb umstritten. Klar ist hingegen, dass die fahrlässige Handhabung der Brandschutzbestimmungen den Verlauf der Katastrophe begünstigte.
Auch dass die Rettungskräfte erst spät eintrafen, trug zum tödlichen Verlauf des Feuers bei. Bereits 2006 war eine Untersuchungskommission zu diesem Ergebnis gekommen. Zwei eilige Ministerrücktritte manövrierten das Thema kurz vor den Parlamentswahlen aus den Schlagzeilen.
Die Verurteilung al-Jabalis, der selbst neun Tage im Koma lag, wird von Flüchtlingsunterstützungsgruppen hart kritisiert. Auch Überlebende, von denen zahlreiche der Verhandlung beiwohnten, teilen diesen Standpunkt. Der Marokkaner Moustapha Moujahid sagte: "Ahmed ist genau wie wir ein Opfer des Brandes. Der Staat gebraucht ihn als Sündenbock."
Ob die staatlichen Versäumnisse nun noch einmal untersucht werden, ist trotz möglicher Schadensersatzforderungen unklar. Pieter van Vollenhoven, Vorsitzender der Kommission, die 2006 die Regierung mit ihrem Report schwer belastete, deutete während des Prozesses diese Option an. Ungeachtet der schweren Vorwürfe hatte die Staatsanwaltschaft 2007 erklärt, keine weiteren Verantwortlichen des Feuers zu verfolgen. Auch das Gericht gab nun an, mit seinem Ausspruch "keine anderen Personen oder Instanzen" zu belasten.
Al-Jabalis Sprecher Jo van der Spek forderte dagegen, endlich mit einer politischen Analyse des Schiphol-Brands zu beginnen. Dazu zählten auch die Bedingungen in Abschiebegefängnissen, die schnell und provisorisch errichtet würden, wobei der Kostenfaktor über den Sicherheitsstandards stünde. Auch das Abschieberegime an sich solle dabei zur Sprache kommen, das Migranten ausschließe und ihrer Rechte beraube.
Noch am Abend des Urteils wurde al-Jabali von der Ausländerpolizei in Gewahrsam genommen. Dahinter steckt ein ablehnender Bescheid der Einwanderungsbehörde IND auf seinen Antrag auf ein Bleiberecht aus humanitären Gründen. Seither sitzt er in einem Sondergefängnis in Den Bosch erneut in Abschiebehaft.
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