Berlins SPD-Chef Michael Müller: Der Kronprinz mit der Nummer 9

Nichts ist am 27. September ausgeschlossen, nicht einmal, dass Klaus Wowereit neuer Bundesvorsitzender der SPD wird. Wer aber würde den Regierenden Bürgermeister beerben? SPD-Fraktions- und Landeschef Michael Müller gilt als Favorit.

Falls Wowereit aus dem Bild rutscht, stünde Michael Müller bereit Bild: dpa

Der letzte Tag im August war kein guter Tag für Michael Müller. Seitdem hat der SPD-Landes- und Fraktionschef mit der 9 zu kämpfen. 9 Prozent der Berliner können sich Müller als Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) vorstellen. Fast dreimal so viel halten den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse für geeignet - obwohl der gar nicht zum Kreis der Kronprinzen gehört. Müller aber wird als heißer Anwärter auf den Posten gehandelt. Nur: Gerade einmal die Hälfte der Berliner weiß etwas mit seinem Namen anzufangen.

Über die 9 spricht Müller nicht so gern, um das Thema Image kommt er nicht herum. "Blass", wiederholt er, "viele sagen, ich sei blass." Müller weiß, was die Leute über ihn denken, zumindest die, die ihn kennen. Er weiß aber auch, was sie an ihm schätzen. "Ich gelte als verlässlich, auch das gehört zu meinem Image."

Klaus Wowereit will in die Bundespolitik. Die größten Aussichten hätte er, wenn Schwarz-Gelb an die Macht kommt und die Karten bei der SPD neu gemischt werden. Allerdings warten auch andere auf ihre Chancen, unter anderem Umweltminister Sigmar Gabriel.

Selbst wenn Wowereit Bundesvorsitzender der SPD würde, bliebe er zunächst Regierender Bürgermeister. Der Job ist schließlich seine Machtbasis in der Partei.

Um den Weg für Michael Müller frei zu machen, müsste der Stabswechsel rechtzeitig vor den Berliner Wahlen 2011 stattfinden. Dann könnte Müller mit dem Amtsbonus in den Wahlkampf. (taz)

Michael Müller sieht nicht nur aus wie ein Sparkassendirektor, er wirkt auch so. Seiner Parteikarriere war das nicht hinderlich. Seit 1996 sitzt der 45-Jährige im Abgeordnetenhaus, seit 2001 ist er Fraktionsvorsitzender, seit 2004 führt er die Berliner SPD mit ihren 16.000 Mitgliedern. Bekannter ist er deshalb trotzdem nicht: Von den 13 Michael Müllers, die das Online-Lexikon Wikipedia kennt, steht er an neunter Stelle. Verflixte Zahl, diese 9.

Erstaunlich entspannt sitzt Michael Müller im Besprechungsraum der SPD-Fraktion, kein Jackett, kein Schlips, kein Handlungsdruck. "Die Frage steht nicht an", kommentiert er die Kronprinzendebatte in den Medien. Zumindest nicht sofort. Noch ist Klaus Wowereit im Amt. Was aber, wenn es Wowereit nach dem 27. September tatsächlich in die Bundespolitik schafft? Dass Müller den Regierenden für höhere Weihen geeignet sieht, ist ein offenes Geheimnis. In der ersten Liga könne der spielen, sagt er immer wieder und meint wohl: Klaus Wowereit ist einer der Kandidaten für den Bundesvorsitzenden der SPD. Und er selbst? "Der Fraktions- und Landesvorsitzende gehören immer zum Kreis der Kandidaten", antwortet er sibyllinisch. Michael Müller ist beides. Ein Dementi klingt anders.

Damit aus Michael Müller, dem Kronprinzen, einmal Michael Müller, der Regierende Bürgermeister wird, muss aus der 9 freilich eine 1 werden, die "Marke Michael Müller". Immerhin: Die politischen Weichen dafür hat er gestellt. Als es 1999 um die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe an den Konzern Vivendi ging, hat Müller als einer von zwei Abgeordneten der SPD dagegen gestimmt. Zwei Jahre später trimmte er seine Fraktion auf ein Nein gegen einen weiteren Verkauf von Landesanteilen - ein Erfolg, an den er sich heute noch gern erinnert.

Auch in die Diskussion um den Börsengang der Bahn AG hat sich Müller als engagierter Privatisierungsgegner eingemischt. Gilt Klaus Wowereit vor allem deshalb als links, weil er mit der Linken regiert, verkörpert Müller den linken Überzeugungstäter, einen Sozialdemokraten mit Herz. "Als Münte von den Heuschrecken gesprochen hat", lächelt er, "habe ich mich gefreut."

Aber einer mit Herz kämpft sich noch lange nicht in die Herzen seiner Wähler. Tatsächlich ist Michael Müller in vielem ein Anti-Wowereit. Er drängt nicht ins Rampenlicht, gilt als braver Familienvater. Selbst im Urlaub schlägt er nicht über die Stränge. Wenn möglich, erholt sich Müller in Italien, ein bisschen Wandern, Rotwein, gutes Essen. Beim letzten Mal hat er dort "Die kleine Geschichte der SPD gelesen". Michael Müller weiß also, dass die Geschichte seiner Partei viele Vorsitzende, Regierungschefs, Ministerpräsidenten kennt: Alphatiere wie Gerhard Schröder und Klaus Wowereit, gescheiterte Hoffnungsträger wie Matthias Platzeck, solche wie Kurt Beck und Rudolf Scharping, über die keiner mehr spricht, es sei denn, voller Spott über die "Provinzler". Als Fraktions- und Landeschef blieb Michael Müller die Einordnung in solche Schubladen bislang erspart, als Wowereit-Nachfolger muss er sie fürchten.

Welche Rolle wird dabei seine Biografie spielen? Wie Gerhard Schröder und Klaus Wowereit stammt Müller aus einfachen Verhältnissen. Im Tempelhofer Betrieb seines Vaters Jürgen Müller hat er Drucker gelernt. Noch heute erzählt er, wie ihm die Sympathien der kleinen Leute in seiner Partei entgegenfliegen. Einer von uns ist er dann, einer, der weiß, was Gerechtigkeit ist.

Wenn er als Fraktionsvorsitzender dagegen einen Termin an einer Hochschule hat, spürt er die Distanz der Professoren. "Da fehlt einfach der Stallgeruch." Als Manko will Müller das aber nicht verstanden wissen - eher als Auftrag, zwischen den Milieus zu vermitteln.

Das letzte Mal an der Druckmaschine stand Müller, bevor er Landesvorsitzender der Berliner SPD wurde. "Als Fraktionsvorsitzender war immer mal Zeit für eine Nachtschicht", gesteht er und macht klar, welche Bedeutung der Druckerberuf in seinem Leben hatte und hat. 15 Jahre lang hat er im Familienbetrieb mit seinem Vater gearbeitet, der eine an der Offset-, der andere an einer historischen Buchdruckmaschine.

"Mein Vater hat sich schon mit zwanzig Jahren selbständig gemacht, als überzeugter Kommunist. Die ganze Zeit haben sie in der Druckerei die Weltrevolution vorbereitet - und nichts verdient." Solche Sätze verstehen sie in seiner Sparte, aber verstehen sie auch die Wähler der neuen Mitte?

Sich hochkämpfen, durchbeißen, das haben auch Schröder und Wowereit gemusst. Michael Müller ist darum noch lange "keine Rampensau geworden", wie er scherzt. Auch deshalb hat ihn der Wechsel der SPD-Abgeordneten Canan Bayram zu den Grünen getroffen. Bayrams Vorwurf: Frauenpolitik werde in der Berliner SPD von Klaus Wowereit und Michael Müller nicht ernst genommen. Mehr noch: Die beiden starken Männer der Berliner SPD würden ohnehin nur alles unter sich ausmachen.

"Das hat mich schon beschäftigt", sagt Müller heute. Als Landes- und Fraktionschef habe er auf die Vorwürfe reagiert. "Es gibt zu verschiedenen Themen jetzt mehr Beratungsrunden als vorher."

Anders als Wowereit, den seine Mitarbeiter immer wieder als beratungsresistent bezeichnet, bekennt sich Müller zur Teamarbeit. Eines aber stellt er klar. "Natürlich gibt es in einer Partei einen Auswahlprozess, und da wird teilweise auch mit harten Bandagen gekämpft. Wer etwas will, muss sich auch durchsetzen." So klingt kein Sparkassendirektor, so spricht einer, der noch etwas vorhat im Leben.

Für den 27. September hat Michael Müller die Parole ausgegeben: "Eine Regierungsbeteiligung für die SPD muss dabei sein" - wohlwissend, dass ein Erfolg Steinmeiers eine Karrierebremse für Klaus Wowereit und ihn selbst wäre. Aber einer, der mit der Nummer 9 kämpft, kann warten. Auch darauf, dass Wowereit in der Gunst der Wähler sinkt. Längst ist "Wowi" nicht mehr "everybodys darling", der Lack bröckelt, manche sagen, er sei amtsmüde. Als loyaler Sozialdemokrat würde Michael Müller sofort dementieren. Als Machtmensch weiß er, dass Klaus Wowereit einer ist, den man gern überschätzt, während man ihn, Michael Müller, besser nicht unterschätzen sollte.

Allzu viel Zeit hat der Kronprinz freilich nicht mehr. 24 Prozent hat die Landes-SPD bei der letzten Umfrage bekommen, die Grünen liegen mit 20 Prozent schon dicht dahinter. Will Michael Müller nicht Senator unter einem grünen Regierenden Bürgermeister werden, muss er als Amtsinhaber ins Rennen gehen - noch vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011.

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