Wahlsiegerin Merkel: Sie hatte die Kraft

Es war das zweitschlechteste Ergebnis. Dennoch hat Merkel es geschafft. Mit einem auf sie maßgeschneiderten Wahlkampf: ohne Attacken und inhaltlich unangreifbar.

Anspannung vor der Stimmabgabe: Merkel fährt vor ihrem Wahllokal vor. Bild: dpa

BERLIN taz | Angela Merkel zögert, selbst am Abend ihres schwarz-gelben Wahlsiegs. Die SPD-Spitzenleute haben ihre Niederlage schon eingestanden, die Grünen ihre Oppositionsrolle bereits angenommen. Mehrfach schalten die Fernsehsender in die Berliner CDU-Zentrale, mehrfach schalten sie wieder zurück, weil nichts zu sehen ist als die blaue Wand.

Um 19.04 Uhr kommt sie dann doch, in aller Demut. Sie weiß, das Wahlergebnis ist für sie nicht ohne Gefahren. Nicht nur, dass die Union das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr, unterboten nur von Merkels Vorbild Konrad Adenauer bei dessen erster Wahl 1949. Nicht nur, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, ob es für Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein reichen würde oder nicht, wovon künftig die Mehrheit im Bundesrat abhängen wird.

Nein, Sorgen macht Merkel die Perspektive, dass sie ihre Popularität als Gesamtkanzlerin der großen Koalition in ein neues Bündnis mit den Liberalen hinüberretten kann. "Mein Verständnis war es und ist es", sagt sie, "dass ich die Bundeskanzlerin aller Deutschen sein möchte." Das ist ein merkwürdiger Satz aus dem Mund einer Bundeskanzlerin. Es ist der klassische Satz, den normalerweise Bundespräsidenten sagen am Tage ihrer Wahl. Beim präsidialen Regieren könnte ihr eine fehlende Mehrheit in der Länderkammer sogar helfen.

Stimmen:

CDU/CSU 33,8% (-1,4)

SPD 23,0% (-11,2)

FDP 14,6% (+4,8)

Linke 11,9% (+3,2)

Grün 10,7% (+2,6)

Piraten 2,0% (-)

NPD 1,5% (-0,1)

Sitze (622):

Union 239, FDP 93 – zusammen 332

SPD 146, Linke 76, Grüne 68 – zusammen 290

Feiern mag sie an diesem Abend höchstens protestantisch. "Ich glaube, dass wir heute Abend richtig ausgelassen feiern können", sagt sie zuerst. Da staunen schon mal alle, die das Wort "ausgelassen" mit Merkel bisher nicht in Verbindung brachten. "Danach wartet wieder richtige Arbeit auf uns", schiebt sie hinterher. Da stimmt es wieder, das Bild der Kanzlerin, doch die Parteifreunde im Saal sind enttäuscht.

Sie wollen von Problemen nichts hören an diesem Abend. Nicht davon, wie man sich einer FDP erwehren kann, die halb so stark ist wie CDU und CSU zusammen. Zu welchen Kapriolen eine CSU imstande sein wird, die in Bayern zurechtgestutzt ist auf 42,6 Prozent (vorher 49,2%) und im Bundestag mit 6,5 Prozent nicht einmal halb so viele Bundestagsmandate wie die FDP hat. Immerhin: So glücklich sind die Christdemokraten über den Wechsel des Koalitionspartners, dass Merkel allzu heftige Kritik am mageren CDU-Resultat nicht fürchten muss.

Merkel hat es geschafft mit einem Wahlkampf, der auf sie allein zugeschnitten war, über dessen Zuschnitt sie allein bestimmt hatte. Wie sie diese Kampagne führen wollte, ohne Attacken auf den politischen Gegner und selbst inhaltlich nicht angreifbar, das stand für sie frühzeitig fest. Es war ihre Lehre aus dem Kirchhof-Debakel des Jahres 2005 und die Konsequenz aus der persönlichen Popularität, die sie seit dem Gipfel von Heiligendamm erst international und dann auch in der Innenpolitik gewonnen hatte.

Es blieb bis zuletzt eine Strategie mit hohem Risiko. Schon als aus Merkels Umgebung die ersten Pläne für die reine Kanzlerinnenkampagne durchsickerten, vor mehr als einem Jahr, da war die Entrüstung ihrer Kritiker in CDU und CSU groß. Bis zuletzt standen die eigenen Ministerpräsidenten daneben und schauten als Unbeteiligte zu. Hätte Merkel am Sonntagabend nicht triumphal gewonnen, es wären schwere Jahre geworden in der eigenen Partei.

Nun muss sie sich um ihre Autorität in der CDU vorerst nicht sorgen, auch wenn dieser Zustand nicht lange anhalten muss - gerade siegestrunkene Parteien sind oft schwer zu steuern. Auch braucht sie bei diesem Koalitionspartner nicht zu befürchten, dass er alsbald das Bündnis wechselt und ihr die Kanzlerschaft entzieht.

Leicht wird das Regieren trotzdem nicht, und niemand weiß das besser als Merkel selbst. Spätestens im nächsten Jahr wird die desolate Lage von Staatshaushalt wie Sozialkassen für alle offensichtlich sein und harte Einschnitte erfordern. Wie aber soll sie mit der FDP Steuererhöhungen durchsetzen? Oder gar Einschnitte ins soziale Netz, gegen den geschlossenen Widerstand eines linken Lagers, das sich in der Opposition neu formieren wird - den Schulterschluss mit den Gewerkschaften eingeschlossen?

Bei den bevorstehenden Landtagswahlen werden die unpopulären Berliner Entscheidungen die CDU Stimmen kosten, im nächsten Frühjahr schon bei der Wahl im größten Bundesland. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wird dabei nicht tatenlos zusehen, sondern sich mit einer scharfen Kampagne von Merkel absetzen. Auch das ist keine gemütliche Perspektive für die Kanzlerin.

Von nun an bewegt sich Merkel auf ganz neuem, für sie ungewohntem Terrain. Bisher hat sie, ganz ähnlich wie der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder, mithilfe von Medien und Öffentlichkeit gegen die eigene Partei regiert. Die große Koalition hat das erleichtert. Der Hinweis auf die Sachzwänge des Regierens mit der SPD genügte meist, um die eigenen Reihen wenn auch notdürftig zu schließen.

Das Wahlergebnis wirft sie nun auf die eigene Partei zurück. Mit vereinten Kräften werden die FDP und der Wirtschaftsflügel der eigenen Partei auf sozialpolitische Reformen drängen, die vielleicht auch Merkel selbst für sinnvoll halten mag, die an der Wahlurne aber nur negative Folgen haben können. In der Klimapolitik wird Merkel Mühe haben, der Ökologie noch einigermaßen Gewicht zu verschaffen gegen die Vorherrschaft der Ökonomen in der Farbenlehre der neuen Koalition.

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