Fassbinder Skandalstück entschärft: "Der reiche Jude" als Außenseiterfigur

Fassbinders Skandalstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" in Mülheim an der Ruhr inszeniert von Roberto Ciulli, der die Geschichte in zwei weitere Fassbinder-Stücke einbettet.

Rupert J. Seidl (l) als Zwerg und Simone Thoma (r) im Theater an der Ruhr in Mühlheim in Fassbinder Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod". Bild: ap

Der Skandal blieb aus: Wie eine ganz normale Premiere, ohne Proteste und Diskussionen, ging nun doch die deutsche Erstaufführung von Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" im Mülheimer Theater an der Ruhr über die Bühne. Im Vorfeld der Premiere war darob erneut heftig diskutiert worden und der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde Duisburg/Mülheim forderten, die Aufführung des Stücks wegen seiner antisemitischen Tendenzen abzusagen.

Tatsächlich arbeitet Fassbinders umstrittener Text mit handfesten antisemitischen Klischees, doch ist die zentrale Figur des Stücks "Der reiche Jude" als eine der typischen Fassbinderschen Außenseiterfiguren zu lesen, durch deren - durchaus ambivalente - Darstellung Fassbinder gesellschaftliche Macht - und Unterdrückungsmechanismen aufzeigte.

Wie stets bei Fassbinder, verschwimmt auch in dieser Figur das Täter-Opfer-Schema, doch denunziert Fassbinder eben nicht den Einzelnen, sondern die Verhältnisse. In Mülheim bettet Regisseur Roberto Ciulli das Skandalstück, wohl auch, um es abzufedern zwischen zwei weitere Fassbinder-Stücke und pumpt dadurch den Abend zu quälender Länge auf.

Ciullis Rezept für die Zumutungen Fassbinders ist einfach, aber effektiv: Entschärfung und Vergröberung durch Verfremdung. Ein Verfahren, dass Fassbinders Ambivalenzen und damit die tieferen gesellschaftskritischen Bezüge kassiert.

Der Abend beginnt mit "Nur eine Scheibe Brot". Ein junger Filmregisseur soll einen Film über Auschwitz drehen und findet keine rechte Haltung zu dem Auftrag, obwohl ihm sicher ist, dass die Preise ob des Betroffenheitsthemas nur so hageln werden. Simone Thoma spielt den Regisseur in Kniestrümpfen und kurzen Hosen als steifbeinig anorektischen Zögerer, auf der Bühne weihräuchert im Hintergrund ein katholischer Sakralraum, der sich seitlich zum Verbrennungsofen öffnet, der Filmassistent ist Ministrant, auf dem Altar quellen Blutströme aus dem Linnen, eine Rokoko-Figur singt "Fremd bin ich eingezogen" aus der "Winterreise" und die handelnden Personen liegen gerne auf und in Särgen herum. Der Regisseur ist unschwer mit Fassbinder selbst zu identifizieren und seine puppenhaft hölzerne Verkörperung durch Simone Thoma in kurzen Hosen wird zum Running-Gag des Abends.

Denn in gleichem Ambiente geht es nun weiter mit dem inkriminierten Skandalstück, das über weite Strecken die Gossensprache pflegt und auch in Sachen Brutalität nicht eben zimperlich ist. Simone Thoma kommt nun als "reicher Jude" in einem schwarzen Prunksarg hereingerollt und krächzt ihre Monologe mit verfremdender Rabenstimme. Eine stilisierte Kunstfigur, ein geschlechtslos artifizielles Wesen, das niemandem zu nahe tritt und seine Texte aufsagt wie das Telefonbuch.

So werden die Klischees zur Karikatur, die niemanden mehr aufregen kann. Ciulli eliminiert auch Gewalt und Dreck aus Fassbinders Stück, die brutalen Szenen zwischen dem Zuhälter Franz B. (Peter Kapusta) und der Hure Roma B. (Carlotta Salamon) werden steril und ohne Körperkontakt als dröges Lehrstück exerziert.

Überflüssig der sich noch anschließende dritte Teil des Abends "Blut am Hals der Katze", eine schrille, in Pink getauchte Revue unsinniger Monologe einsamer Typen, die von der Außerirdischen "Phoebe Zeitgeist", wiederum verkörpert von Simone Thoma, aufgeschnappt und nicht verstanden werden. Fazit: In Mülheim gelingt Regisseur Roberto Ciulli immerhin klarzustellen, dass Fassbinder kein antisemitisches Stück geschrieben hat. Doch hat er es mit spitzen Fingern angefasst und weicht in der Verfremdung dem heißen Kern des Stücks doch nur aus.

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