Im Status ewiger sonischer Jugend

MUSEALISIERUNG 2009 ist das Jahr, in dem Sonic Youth in der Hochkultur, im Museum und in der Klassik verenden

■ David Browne, „Goodbye 20th Century – Die Geschichte von Sonic Youth“. Aus dem US-Amerikan. von Ralf Niemczyk und Imke Trainer. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 512 S.,

14,95 Euro■ Sonic Youth spielen heute Abend live in der Columbiahalle, Berlin.

VON KLAUS WALTER

Ein Dokumentarfilm wird erwachsen. „1991 – The Year Punk Broke“, den Dave Markey im selben Jahr gedreht hat. Dinosaur Jr., Babes in Toyland und Sonic Youth am historischen Wendepunkt. Tage später werden Nirvana mit „Nevermind“ das Koordinatensystem des Rock für immer verändern. Markey hat auch Musikvideos für Sonic Youth gedreht. 1991 war also das Jahr, in dem Punk in den USA erfolgreich wird. Den Durchbruch schafft.

Im Nachhinein wird dieser Durchbruch verflucht, viele tanzen nur einen Sommer lang, etliche sind tot, mittlerweile. Wenn 1991 das Punkdurchbruchsjahr war, dann ist 2009 das Jahr, in dem Sonic Youth absahnen. Höchste Zeit für eine Band, die ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat. Aber es geht nicht um den kommerziellen Durchbruch. Den haben Sonic Youth im Nirvana-Fahrwasser so einigermaßen geschafft, um bald wieder in ihrer Sub-Nische zu verschwinden. Dass 2009 ein Sonic-Youth-Jahr wird, liegt weniger am neuen Album. „Eternal“ erscheint bei einem Independent-Label, nach fast 20 Jahren sind sie nicht mehr bei dem Plattenmulti Geffen. Wohlwollende Beobachter deuten das als Gesundschrumpfen. Wohlwollend wie immer wird „Eternal“ aufgenommen, „Eternal“, ewige Jugend, verschwendete Jugend, verwendete Jugend. Weniger wohlwollend: „Eternal“ verhält sich zu seinen Vorgängern wie die neueste Platte von Status Quo zu ihren Vorgängern. Status Quo Eternal. Dennoch ist 2009 das Jahr, in dem Sonic Youth durchbrechen: in die Hochkultur, ins Museum, in die Klassik.

Unter dem geschichtsbeflissenen Titel „Goodbye 20th Century“ erscheint die deutsche Ausgabe der Band-Biografie von David Browne. Der Rolling-Stone-Redakteur hat ganze Arbeit geleistet. Auf 500 Seiten bleibt keine Aufnahmesession undokumentiert. Mit der Akribie eines schwäbischen Buchhalters rekonstruiert Browne die Laufbahn der Band – und mit der analytischen Raffinesse eines schwäbischen Buchhalters. Ohne es zu wollen, deckt er das System Sonic Youth auf. Eine Band in full control, vom ersten Tag an die eigene Historisierung fest im Blick.

Da berichtet Browne von einem Meeting mit der Plattenfirma, 1986. Lee Ranaldo, Gründungsmitglied von Sonic Youth, erzählt, „er habe sämtliche Demo- und Mixversionen aller Songs, die die Band jemals aufgenommen hatte, auf Tape. Dazu murmelte er: ‚Eines Tages, in 20 Jahren, werde ich…‘, da mussten alle lachen. Die Vorstellung, dass sich irgendjemand in 20 Jahren noch für sie interessieren könnte, schien einfach zu lustig zu sein.“ Nun, hätte ihnen 1986 jemand erzählt, dass 23 Jahre später die Kraftwerk-Stadt Düsseldorf in Germany eine Sonic-Youth-Ausstellung zeigen würde … zu lustig. Aber wahr. Im Frühjahr 2009 eröffnet in der Düsseldorfer Kunsthalle „Sensational Fix“, die große Sonic-Youth-Exhibition, später wandert sie weiter nach Malmö. Ein Kritiker feiert „das Entschleiern einer alternativen Geschichte der zeitgenössischen Kultur“, und tatsächlich lüften die Ausstellung genau wie die Bandbiografie den Schleier um Sonic Youth.

Zum Vorschein kommt die Band als interdisziplinäres, multimediales Konzept-Unternehmen New Yorker Prägung. So wie Andy Warhol qua Selbstentwurf mehr war als ein Künstler, ist die Band um Kim Gordon und Thurston Moore qua Selbstentwurf mehr als eine Band. Sonic Youth sind Katalysator, Kommunikator, Kurator, Durchlauferhitzer und vor allem: Netzwerker. Früh fördern sie junge Künstler. Raymond Pettibone, Spike Jonze, Gus Van Sant, Sophia Coppola, Chloe Sevigny, Cat Power. Alles Stars heute. Und Nirvana. Davon erzählt auch der Katalog zur Ausstellung, 600-Seiten-Memorabilia aus 25 Jahren Bandgeschichte, 25 Jahre, die nicht umsonst knapp vor Warhols Tod beginnen. In die Warhol/Velvets/Factory-Tradition schreiben sie sich ein, ein Platz in dieser Ahnengalerie soll es sein. Bloß nix wegschmeißen. 2009 wird die archivarische Akkuratesse belohnt.

Die Band als interdisziplinäres, multimediales Konzept-Unternehmen

Mit einer eigenen Ausstellung, bei der sie selbst ein Konzert geben, lebendes Exponat im Museum der sonischen Jugend. Sie kommen auch zum zweiten Mal dieses Jahr auf Konzertreise. Und wo sie schon mal in Deutschland sind: in der Hamburger Kunsthalle bei der Ausstellung „ManSon – Vom Schrecken der Situation“ war die Band ebenfalls vertreten. Dort wurde allerlei shocking stuff aus dem weiten Feld von Pop & Gewalt versammelt, darunter „Death Valley 69“, das Video von Sonic Youths frühem Sub-Hit zu Charles Mansons Murder Mystery in der Hollywood-Villa von Sharon Tate, drei Tage vor Woodstock. Und wo sie schon mal in Deutschland sind, haben sie auch einen Auftritt bei der Gerhard-Richter-Ausstellung in München. Motive des deutschen Malers hat die Band bereits früher mehrfach verwendet.

Richters emblematische Kerze ziert das Cover von „Daydream Nation“, das Opus Magnum von Sonic Youth, 1988. Also wird 2009 das komplette „Daydream Nation“-Doppelalbum aufgeführt, das machen ja jetzt viele so, Meisterwerk reloaded. Live in der Richter-Ausstellung. Geschichte wird gemacht.

Ach ja, dieser Tage erscheint der erste Roman im bandeigenen Verlag. Und, es kommt auch Thurston Moores Buch über die Geschichte von Grunge raus. Der wird erwachsen.