Wikimedia-Geschäftsführer Pavel Richter: "Ich sehe keine Streithähne"
Wikipedias Relevanzkriterien regen auf: Diskutiert in den Blogs wird aktuell die Frage, ob die Löschung des Vereins "MOGiS" angemessen war. Ein Interview mit Wikimedia-Geschäftsführer Pavel Richter.
taz: Im Netz wird aktuell heiß diskutiert, dass der Wikipedia-Eintrag von "MOGiS", einer Initiative von Missbrauchsopfern gegen Internetsperren, gelöscht wurde. Ist das nicht Willkür?
Pavel Richter: Man mag die Entscheidungen nicht teilen, aber sie sind entlang der von der Community selbst entwickelten Vorgehen und Regeln getroffen worden. Die Löschung des Artikels erfolgte nach den in der Wikipedia üblichen Verfahren: Jemand stellte einen Antrag, den Artikel zu löschen, dieser wurde sieben Tage lang diskutiert und am Ende hat ein von der Community gewählter Admin die Diskussion ausgewertet und ist zu dem Schluss gekommen, den Artikel zu löschen. Eine Reihe von Benutzern teilte diese Auffassung nicht und beantragte eine Löschprüfung, die ebenfalls von einem anderen Admin abschlägig beschieden wurde. Willkür sehe ich da keine.
Die Wikipedia-Realität wächst ja aus den Menschen, die sich bei Wikipedia engagieren. Wie sind eure Strukturen organisiert, damit es nicht zu Willkür und einseitigen Kampagnen in Wikipedia kommt?
Jede Änderung ist für alle sichtbar, die einzelnen Versionen der Artikel lassen sich nachvollziehen. Man mag es kaum glauben, aber diese Selbstkontrolle durch die Community funktioniert tatsächlich. Und das schon seit Jahren sehr erfolgreich.
Hm, ja, kaum zu glauben. Wie funktioniert das genau? Wie diskutieren denn die Wikipedia-Aktiven, über Chat?
Da gibt es ganz unterschiedliche Kanäle, klar, einen Chat gibt es auch, aber meines Wissens keinen besonderen für die Admins, sondern einen offenen IRC-Chat für alle, die sich für die deutschsprachige Wikipedia interessieren. Der wichtigste Ort, wo innerhalb der deutschsprachigen Wikipedia diskutiert wird, sind aber die Diskussionsseiten auf der Wikipedia selbst. Die sind ja übrigens auch völlig öffentlich, also sehr transparent und jederzeit von allen einsehbar.
Relevanzkriterien sind ja nicht Relevanzkriterien – in der englischsprachigen Wikipedia geht man damit ja ganz anders um...
Das stimmt, die englischsprachige Wikipedia hat andere Kriterien. Das liegt eben daran, dass dort die Community im Laufe ihrer Diskussion zu anderen Kriterien gekommen ist. Die deutschsprachige Wikipedia-Community ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Relevanz nicht verjährt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass wir nicht jedes Tagesphänomen aufnehmen. Das führt zwangläufig zu einer höheren Einstiegshürde bei der deutschsprachigen Wikipedia.
Nervt es euch, dass es da Menschen gibt, die diese Kriterien offenbar so nicht akzeptieren wollen?
Nein, das nervt nicht. Das ist wichtig. Ein Projekt wie die Wikipedia steht natürlich immer in der Gefahr, eine Veranstaltung für Insider zu werden und Neulinge nicht mehr offen genug willkommen zu heissen. Solche Diskussionen sind daher wichtig und notwendig. Zugleich bieten sie auch die Möglichkeit, über die internen Funktionsweisen und Regeln der Wikipedia zu informieren. Als Verein versuchen wir, unterstützend und vermittelnd in beide Richtungen tätig zu werden.
Ihr veranstaltet ja zu dem Mogis-Streit jetzt ein spontanes Treffen. Ist das üblich bei euch, dass man sich mit solchen Streithähnen zusammensetzt?
Ich sehe keine Streithähne, sondern ich sehe auf der einen Seite ehrenamtlich tätige Wikipedia-Autoren und auf der anderen Seite engagierte Blog-Autoren und Wikipedia-Nutzer. Wikimedia Deutschland will mit dieser Veranstaltung beide Positionen miteinander ins Gespräch bringen, da wir sicher sind, dass dieser Dialog für beide Seiten sinnvoll und hilfreich sein kann. Wir machen das in dieser Form zum ersten Mal - im Erfolgsfalle aber wird es nicht das letzte Mal bleiben.
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