Urteil des Bundesgerichtshofs: Stadionverbote zulässig
Vergeblich hatte ein Bayern-Fan gegen die Praxis der Bundesligavereine geklagt, willkürlich Stadionverbote auszusprechen. Die BGH-Richter verweisen auf das "Hausrecht".
Stadionverbote gegen Fußballfans können auch dann zulässig sein, wenn die Beteiligung an Gewalttätigkeiten nicht nachgewiesen ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag in Karlsruhe entschieden. Damit wies das Gericht die Klage eines Fans und Dauerkarteninhabers des FC Bayern München ab, der vom MSV Duisburg ein bundesweites Stadionverbot für gut zwei Jahre erhalten hatte. Nach den Worten des BGH ist dies vom "Hausrecht" des Vereins gedeckt.
Wilko Zicht war als Mitglied des "Fanrechtefonds" dafür, diesen Fall auf die Spitze zu treiben und ihn bis zum Bundesgerichtshof zu bringen. Er erwartete aber vom Urteil des BGH von vorneherein nicht allzu viel: "Es geht um das Privat- und Hausrecht des Veranstalters, da werden selten grundlegende Einschränkungen vorgenommen."
Der Fall, der dem BGH nun vorlag, sei "ein gutes Beispiel für alltägliche Willkür", sagt Zicht. Deshalb hatte der "Fanrechtefonds" (ein Projekt aus der Fanszene) sich entschlossen, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen, um eine Grundsatzentscheidung zu erwirken. Zum Hintergrund: Im April 2006 wurden am Rande eines Spiels in Duisburg etwa 60 Personen der Bayern-München-Fangruppierung Schickeria von der Polizei in Stadionnähe eingekesselt, weil sie an einem Angriff gegen Duisburger Anhänger beteiligt gewesen sein sollen.
Unter den Eingekesselten war auch der Mann, dessen Klage nun an höchster Stelle zurückgewiesen wurde. Der Bayern-Fan sagte aus, nichts mit der Randale zu tun gehabt zu haben. Weil die Polizei jedoch ermittelte, verhing der MSV Duisburg ein bundesweites Stadionverbot für die gesamte Gruppe. Dies wurde auch im konkreten Einzelfall aufrechterhalten, nachdem das Verfahren "wegen Geringfügigkeit" eingestellt wurde. Denn der nicht bestätigte Verdacht reicht gemäß den Richtlinien des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) aus, um Fußballfans zwei Jahre lang den Stadionbesuch bundesweit zu verwehren.
Der Duisburger Fall verweist noch auf ein weiteres zu klärendes Problem. Bei fünf Anhängern der eingekesselten Gruppe wurde das Verfahren "mangels Tatverdacht" eingestellt. Für diesen Freispruch erster Klasse musste der MSV die Stadionverbote aufheben. Rechtsanwalt Marco Noli, der den Bayern-Fan vor dem Amts- und Landesgericht vertrat, macht in diesem Zusammenhang auf den zeitlichen Ablauf aufmerksam. Die Freisprüche "mangels Tatverdacht" wurden von der Duisburger Staatsanwaltschaft zuerst ausgesprochen, beim Rest galt danach der "Geringfügigkeitsparagraf". Noli sagt: "Da liegt doch der Verdacht nahe, dass die Staatsanwaltschaft einen Hinweis bekam, dass der MSV nur so Stadionverbote aussprechen dürfe." Warum man sich für das eine oder andere entscheide, müsse die Staatsanwaltschaft nicht begründen. Nötig sei nur ein Kreuz auf einem Formblatt, so Noli. Und die Fans könnten juristisch nicht dagegen vorgehen.
Gemäß den 2008 modifizierten DFB-Richtlinien sollen die Clubs Stadionverbote eigenständig überprüfen, wenn die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden. Bei den Vereinen bewerten jedoch oft juristische Laien wie Raimond Aumann, Fanbeauftragter und Ex-Torwart von Bayern München, komplexe Sachverhalte. Der Stadionsverbotsbeauftragte des MSV Duisburg, Michael Meier, betont, er habe bereits damals die Stadionverbote eingehend überprüft. Die Akten der Freigesprochenen hat er sich allerdings nicht angeschaut, wie er bekennt. Die Staatsanwaltschaft werde für diese andere Behandlung schon ihre Gründe gehabt haben.
Auch der DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn sagt, der Verband vertraue auf den Gesetzgeber, der die unterschiedlichen Möglichkeiten der Verfahrensaufhebung geschaffen habe. Die Frage, warum der DFB das Stadionverbot bei Verfahren die wegen "Geringfügigkeit" eingestellt werden, nicht grundsätzlich aufheben möchte, wie es die Fanbasis seit langem fordert, möchte Spahn nicht beantworten. "Ich kann Ihnen nur unsere Richtlinien vorlesen", wiederholt er mehrmals.
Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, glaubt, dass die Problematik nicht vom Bundesgerichtshof gelöst werden kann: "Die Hauptverantwortung liegt bei den Vereinen." In der Vergangenheit seien Stadionverbote zu fahrlässig verhängt worden. Ganze Busladungen wären schon kollektiv abgestraft worden, wenn zwei an einer Tankstelle etwas geklaut hätten.
Aktuell sind etwa 3.000 Fans von einem bundesweiten Stadionverbot betroffen. Gabriel fordert stattdessen: "Integration muss vor dem Ausschluss stehen." Zumal die Stadionverbote nicht notgedrungen gewaltvorbeugend wirken. Eher im Gegenteil: Ein Polizeibeamter habe ihm einmal gesagt, so Gabriel, er sei um jedes nicht ausgesprochene Stadionverbot froh. Denn die Betroffenen würden sich selten von ihren Gruppen lösen und wären bei Auswärtsfahrten weiterhin dabei. Ein zusätzlicher "Betreuungsaufwand" für die Polizei. Und da die meisten Gewaltdelikte außerhalb der Arenen passieren, können diese mit Hilfe des Stadionverbots sowieso nicht gemindert werden.
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