„Ich weiß, dass ich im Recht bin“

In vier Wochen steht Orhan Pamuk in Istanbul vor Gericht – weil er ein paar historische Wahrheiten gesagt hat, die in der Türkei noch immer unerwünscht sind. Ein Gespräch über ambivalente Islamisten und postmoderne Literatur

taz: Herr Pamuk, am 16. Dezember erwartet Sie in Istanbul ein Prozess wegen „Herabsetzung des Türkentums“. Machen Sie sich Sorgen?

Orhan Pamuk: Nein, ich mache mir keine Sorgen, denn ich weiß, dass ich juristisch im Recht bin. Ich möchte das Ganze auch nicht noch mehr aufgebauscht wissen und dieser Angelegenheit eine noch größere Bedeutung beimessen. Es ist eine Klage, mehr nicht. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Zeigt der Prozess gegen Sie nicht, wie sehr mit nationalistischen Aufwallungen noch immer zu rechnen ist?

Ja, das kann man so sehen. Der Nationalismus ist sehr tief in der politischen Kultur der Türkei verankert. Diese Aufwallungen stehen aber in direktem Zusammenhang mit dem Verhältnis zu Europa. Seitdem die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschlossen hat, sind die nationalistischen Töne fast verstummt.

Sie sind bisher eher durch historische oder kriminalistische Romane bekannt geworden. Was hat sie dazu bewogen, mit „Schnee“ einen explizit politischen Roman zu schreiben?

Das stimmt, bis dahin hatte ich mich nur außerhalb meiner Romane zu politischen Fragen geäußert. „Schnee“ ist unter dem Eindruck der Ereignisse in den Neunzigerjahren in der Türkei entstanden. Zunächst hatte mein Verleger Bedenken ob des Themas, denn damals war die Rechtslage in der Türkei noch etwas strikter. Doch am Ende gab es keine Probleme. Es gab auch Kritik, aber die grundsätzliche Resonanz war positiv.

In „Schnee“ kommen Säkulare, Nationalisten und Islamisten gleich schlecht weg. Damit haben Sie sich keine Freunde gemacht, oder?

Einige meiner Freunde haben natürlich die Stirnfalten gekräuselt, als sie hörten, was ich da plane, zumal das Genre des politischen Romans ja als etwas aus der Mode geraten gilt. Die meisten politischen Romane kranken meiner Meinung nach daran, dass die Botschaft allzu offensichtlich ist. Darum habe ich mich entschieden, nicht eindeutig Partei für eine Seite zu ergreifen. Mich reizt die Ambivalenz. Wenn ich mich in einen Islamisten hineinversetze, dann heißt das ja nicht, dass ich seine Ansichten teile. Allerdings: Den Frauen mittleren Alters aus der Mittelschicht, die die große Mehrheit meiner Leserschaft stellen, hat das gar nicht gefallen. Sie haben sich beklagt: Ach Orhan, was soll diese ganze Politik? Gib uns lieber noch eine dieser gezuckerten Historiendramen wie „Rot ist mein Name“.

Sie schlagen in Ihren Romanen den Bogen von der republikanischen Gegenwart der Türkei in die osmanische Vergangenheit. Verstehen Sie sich selbst als Versöhner, der scheinbare Gegensätze zusammenbringt?

Ich stelle Elemente der modernen Literatur gleichberechtigt neben alte Sufi-Poeme. Ich würde das eher als postmoderne Schreibweise sehen.

In Istanbul liegen diese Realitäten ja nahe beieinander. Ist die Türkei vielleicht ein postmodernes Land?

Dazu müsste sie erst einmal in allen Teilen in der Moderne angekommen sein. Ich habe die Theoretiker der Postmoderne und der Postcolonial Studies gelesen, von Stewart Hall bis Gyvatri Spivak, und fand sie sehr inspirierend, vor allem was ihre Analyse des westlichen Blicks auf unsere Gesellschaft betrifft. Aber ich kann zwischen Theorie und gesellschaftlicher Realität unterscheiden. Und solche Kategorien wie Orient und Okzident, West und Ost – in der Türkei spielen sie im Alltag einfach keine Rolle. Das interessiert hier niemanden.

Wird „Schnee“ in der Türkei und im Ausland eigentlich unterschiedlich gelesen?

Ja. Ein Militärputsch, der durchgeführt wird, um die Machtergreifung einer islamistischen Partei zu verhindern – das ist für die meisten türkischen Leser ein Szenario, das man nicht weiter erklären muss. Für viele westliche Leser ist das ganze politische Spektrum der Türkei, mit dem sie da bekannt gemacht werden, etwas Neues: dass es säkulare Intellektuelle, Linke und Nationalisten gibt, aber auch verschiedene Sorten von Islamisten, von moderaten Kräften bis hin zu blutigen Terroristen.

Die Hauptfigur in „Schnee“ ist ein Exilant, der lange Zeit in Deutschland verbracht hat. Welche Beziehung haben Sie zu den Türken in Deutschland?

Ich war in den Achtzigerjahren ein paarmal auf Lesereise dort unterwegs gewesen, durch Stadtbüchereien und Gemeindesäle. Das war noch bevor meine Bücher ins Deutsche übersetzt wurden. Damals kamen immer so ein- bis zweihundert Türken zu meinen Lesungen, darunter viele, die aus politischen Gründen nach Deutschland gekommen waren. Das war auf eine gewisse Art und Weise schön, aber auch etwas traurig. Diese Atmosphäre hat mich inspiriert, als ich meine Hauptfigur Ka entworfen habe.

Die Türken in Deutschland sind auf eine gewisse Art „verwestlicht“, wenn auch anders als Sie. Fühlen Sie sich Ihnen besonders verbunden?

Nun, die meisten Türken, die in Deutschland leben, stammen aus sehr einfachen sozialen Schichten, ihre Akkulturation war mit spezifischen Problemen verbunden. Nationalistische Türken wollen, dass diese Türken auch in Deutschland Türken bleiben, und immer schön fröhlich ihre Fähnchen schwenken. Aber ich kann darüber nicht viel sagen: Ich bin einfach kein Experte auf diesem Gebiet.

INTERVIEW: DANIEL BAX