Arbeitsverbot: Opfer der Evolution

Der Axel-Springer-Verlag hat 26 altgediente Abendblatt-Mitarbeiter freigestellt weil er ihnen den Sprung ins multimediale Zeitalter nicht zugetraut hatte

Beim Projekt "Abendblatt 3.0" werden ältere Mitarbeiter nicht mehr gebraucht - und freigestellt. Bild: dpa

"Seit fast zehn Jahren arbeite ich für das Abendblatt", berichtet der Grafiker Andreas W. (48) und klagt dann resigniert: "Bin ich jetzt nur deshalb nicht mehr dabei, weil ich nicht mehr jung und billig bin?" "Warum ist meine journalistische Kompetenz von heute auf morgen nicht mehr erwünscht?", fragt sich der 43-jährige Redakteur Stefan R. und auch der Fotograf Klaus B., der 27 Jahre die Zeitungen des Springer-Verlags bebilderte, sucht nach Antworten: "Warum bin ich nun zum Nichtstun verurteilt?"

Andreas W., Stefan R. und Klaus B., sie alle ereilt ein Schicksal: Als langjährige Mitarbeiter des Hamburger Abendblatts wurden sie von dessen Chefredakteur Claus Strunz freigestellt. Seit fünf Monaten bekommen sie zwar pünktlich ihr Gehalt, nur dass, was sie können, dürfen sie nicht mehr tun: Schreiben, fotografieren und layouten.

"Nicht arbeiten müssen ist ein Traum … Nicht arbeiten dürfen ist ein Alptraum!!!", bringt ein Flugblatt der Gewerkschaften DJV und Ver.di die Stimmungslage der 26 freigestellten Abendblatt-Mitarbeiter, zu denen sich noch sechs Freigestellte der Lokalausgaben Ahrensburg, Harburg und Pinneberg gesellen, auf den Punkt. Grund der Ausmusterungen ist das Projekt "Abendblatt 3.0". Dahinter verbirgt sich die multimediale News-Aufbereitung im Internet und die "Mobilverwertung" - auch in "bewegten Bildern".

Der Altersschnitt der Altgedienten, denen Strunz den Trip in die schöne neue Medienwelt nicht mehr zutraute, liegt bei 52 Jahren. Dass viele von ihnen, wie die Abendblatt-Redakteurin Bettina F. (54), bedeutende Journalistenpreise gewonnen haben, mit denen sich das Abendblatt einst schmückte, zählt heute nicht mehr. Rund zehn Neueinstellungen hat es im Gegenzug gegeben: Ihr Altersschnitt beträgt 29 Jahre - formbarer und billigerer Nachwuchs anstelle der ausgemusterten journalistischen Haudegen.

"Es ist eine rasche Evolution und derjenige, der die nicht schafft, wird in Zukunft keine Rolle mehr spielen" - so zartfühlend hört es sich an, wenn Claus Strunz öffentlich über die langjährigen Mitarbeiter redet. Mit Abfindungen versucht der Verlag sich ganz von seinen ungeliebten Mitarbeitern zu befreien. Doch erst sieben von ihnen sollen schon Auflösungsverträge unterschrieben haben.

"Die Kündigung der Freigestellten ist aufgrund der Neueinstellungen arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar", sagt Ver.di-Fachbereichsleiter Martin Diekmann, der nur den Kopf schüttelt über "die hohe Selbstbeschädigung des Verlags" durch die Freisetzungswelle. Positiv sei vor allem, "dass es nicht gelungen ist, die Freigestellten zu isolieren" - regelmäßig trifft sich die Gruppe und berät Gegenstrategien. So kann die Hängepartie zwischen ihnen und ihrem Arbeitgeber noch lange dauern.

Als vor einer Woche auf der Springer-Betriebsversammlung mehrere der Freigestellten das Mikrophon ergriffen und den Springer-Vorstand attackierten, konterte Vorstandchef Mathias Döpfner nicht nur mit einer "Stillstand-ist-Rückschritt"-Parole, sondern auch mit der Ankündigung, Springer werde Anfang 2010 eine eigene Kindertagesstätte errichten. Den hätten die Freigestellten, die mehrheitlich die fünfzig überschritten haben, in der Tat nicht mehr gebraucht.

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