Uni-Proteste: Gemächlicher Aufstand

Seit Mittwochabend haben sich Studenten der Universität Kiel den deutschlandweiten Protesten angeschlossen und ein Gebäude besetzt. Der neue Wohnraum ist gut organisiert, gestreikt wird in Maßen.

Eine große WG: Der Studentenstreik in der Uni Kiel läuft ruhig und gemächlich ab. Bild: Lars Wehrmann

In den großen Hörsaal im oberen Stockwerk fällt das dämmrige Licht der Straßenlaternen, es ist still. Nur leise pochen die Bässe des Ghettoblasters, den unten jemand in den Eingangsbereich gestellt hat. Vorne, zwischen Stehpult und Tafelwand, sind die meisten der Schlafsäcke verstreut, ein paar von ihnen sind gewölbt. "Da schlafen schon welche", sagt Hanna. Sie wird in dieser Nacht wieder in der Alten Mensa bleiben, im besetzten Gebäude der Universität Kiel.

Am Donnerstag zuvor, zur gleichen Uhrzeit, saß sie noch in einem anderen Saal des Gebäudes, erst um halb drei Uhr nachts schloss das Plenum der Besetzer dort seine erste Sitzung. Nach einer Demonstration vor dem Landtag hatten sich hier rund 300 Kieler Studenten zu einer Vollversammlung getroffen, gegen Abend beschloss eine Mehrheit von ihnen, zu bleiben. Dann holten etwa hundert Studenten ihre Schlafsäcke, schätzt Juri vom Arbeitskreis Presse.

Hanna geht leise die Treppen hinunter, sie hat eine Jogginghose angezogen. "Alle sind so euphorisch", flüstert sie. Auf Tischreihen im breiten Flur stehen Kaffeemaschinen und Pappbecher herum, es ist auch noch Essen da, vom Arbeitskreis Küche. Am Vortag hatte ein linksalternatives Zentrum für die Studenten gekocht. Die Besetzer seien in ihrer politischen Ausrichtung aber ein "bunter Schnitt", sagt Alex. Er trägt einen roten Schal und eine dunkle Kappe, die Beine übereinander geschlagen sitzt er in einem kleinen Seminarraum. Grüppchen haben sich im Raum verteilt, ein paar sitzen am Fenster und rauchen, das Gemurmel steigt kurz an. "Seid doch mal leise!", ruft Alex und lächelt. "Wir sind grad eine große WG."

Bildungsstreik und Besetzung von Hörsälen: In der vergangenen Woche waren norddeutsche Studenten ziemlich aktiv.

Rund 1.500 Göttinger Studenten und Schüler protestierten am Mittwochabend für kostenlose Bildung. Ein Universitätsgebäude ist bereits seit Tagen besetzt.

Das Audimax in Hannover wurde am Mittwoch besetzt. Die Studenten fordern ein sozialeres Bildungssystem.

Die Studenten in Hildesheim, Lüneburg und Osnabrück halten ebenfalls mit Schlafsäcken die Stellung in ihren Hörsälen.

In Hamburg wurden die Proteste durch die Bekanntgabe des neuen Uni-Präsidenten, Dieter Lenzen, angeheizt.

"Das ist langfristig angelegt", sagt Juri. Die Besetzer trennen Müll, es gibt Klopapier und eine Pfandecke. Steffen hat in der letzten Nacht seinen Laptop mitgebracht und ein Referat ausgearbeitet, es war eine gute Arbeitsatmosphäre, sagt er, die anderen spielten Gesellschaftsspiele. Wer schlafen will, geht hoch und unten wird gearbeitet. In langen Sitzungen des Plenums wurde die Organisation durchgesprochen, viele Stunden. "Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen", sagt Juri. In den besetzten Räumen wollen die Studenten Lösungsansätze erarbeiten, um das Bildungssystem zu verbessern und sich dann mit dem Präsidium zusammensetzen.

Deshalb war am Abend das erste Mal der Arbeitskreis Inhalt mit einer Tabelle vor das Plenum getreten. Auf der einen Seite Probleme, auf der anderen Forderungen. Aufgelistet sind Missstände im Bachelorsystem, es geht um Kommerz und auslaufende Studiengänge. Jemand fordert eine umweltverträglichere Universität, eine halbe Stunde diskutiert der Saal über einen selbst verwalteten Raum für Studenten. Es ist voll, einige sitzen auf den Fensterbänken, lehnen an den Wänden. Nach der Pause findet jeder Platz, die Hälfte des Plenums ist gegangen. "Wir werden Listen mit Themen aufhängen, da könnt ihr dann Striche machen", sagt eine Moderatorin. Daraus sollen Schwerpunkte für die nächsten Sitzungen entstehen.

"Wir sollten nicht stundenlang diskutieren, was wir danach machen", sagt ein Student. Viele heben ihre Hände, strecken die Finger aus und winken. Auf diese Form von Applaus haben sich die Studenten schon am Anfang geeinigt. Damit es leise bleibt.

Als sich das Plenum auflöst, gehen zwei Mädchen von Gruppe zu Gruppe: "Habt ihr Lust einem Arbeitskreis Aktion beizutreten? So für Aktionen für Samstag." Ein großer junger Mann mit blondem Pferdeschwanz und rotem Pulli antwortet ruhig: "Ich bin ja der Meinung, wir sollten erst mal was Konstruktives machen." Und verschwindet. Als er später wieder auftaucht, hat er einen Karton mit Tetrapacks im Arm. Eilig marschiert er in den Nebenraum und ruft: "Wir können doch den Glühwein im Wasserkocher warm machen!"

Hanna will versuchen, trotz Streik ihre Lehrveranstaltungen zu besuchen, bald sind ihre Zwischenprüfungen. Im Bus war sie heute zu müde, um Texte zu lesen. Und eigentlich müsste sie auch Bewerbungen schreiben. Im Moment ist das aber egal. "Die Kieler sind so träge", sagt sie. "Ich habe so lange darauf gewartet, dass mal was passiert."

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