Kinderporno-Debatte: Köhler zögert noch bei Netzsperren
Bundespräsident Horst Köhler will das umstrittene Internetsperren-Gesetz gegen Kinderpornos offenbar vorerst nicht unterschreiben. Jetzt könnte es kippen – zur Freude jener, die Zensur bemängeln.
FREIBURG taz | Bundespräsident Horst Köhler hat das Gesetz über Internetsperren noch nicht unterzeichnet. Damit ist die umstrittene Regelung - die die schwarz-gelbe Koalition zunächst ohnehin ein Jahr lang ignorieren will - immer noch nicht in Kraft.
Im Juni hatte der Bundestag auf Betreiben der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein Gesetz beschlossen, das eigentlich am 1. August hätte in Kraft treten sollen. Danach muss das Bundeskriminalamt (BKA) täglich eine Liste von Kinderporno-Seiten an die deutschen Internetprovider liefern, damit diese für ihre Kunden den Zugang erschweren. Weil die Bundesregierung aber vergessen hatte, die EU-Kommission frühzeitig von dem Projekt zu informieren, holte sie dies im Juli nach und löste damit eine dreimonatige Stillhaltefrist aus, die Anfang Oktober endete.
Im Oktober beschloss aber die schwarz-gelbe Koalition, das Gesetz ein Jahr lang nicht anzuwenden. Stattdessen soll das BKA direkt auf ausländische Provider zugehen, um eine Löschung der Kinderporno-Seiten an der Quelle zu erreichen. Die Koalition reagierte damit auf den Vorwurf, die geplante Sperr-Infrastruktur könnte später auch gegen verbotene politische Inhalte, Musiktauschbörsen oder Glücksspiele eingesetzt werden.
Seither diskutiert die Koalition, wie man es schafft, dass ein beschlossenes Gesetz ein Jahr lang nicht angewandt wird. Die Bundesregierung will das BKA einfach per Erlass anweisen, keine Sperrlisten zusammenzustellen. FDP-Abgeordnete halten es für besser, gleich das Gesetz zu ändern oder abzuschaffen.
In diese Diskussion platzte am Wochenende Der Spiegel mit der Nachricht, dass Bundespräsident Köhler das Gesetz noch gar nicht unterzeichnet hat. Vielmehr habe er die Bundesregierung um "ergänzende Informationen" gebeten. Damit deutet Köhler an, dass er Probleme sieht. Ein verfassungswidrig zustandegekommenes Gesetz muss er nicht unterzeichnen.
Gegen das Sperrgesetz werden rechtliche Bedenken in drei Richtungen erhoben. Zum einen seien die Länder und nicht der Bund für die Gefahrenabwehr zuständig. Zweitens hätten die Abgeordneten zu wenig Zeit zur Diskussion gehabt, weil der Gesetzentwurf kurz vor Beschlussfassung noch geändert wurde. Außerdem seien Internetsperren ein ungeeigneter (weil leicht zu umgehender) Eingriff in die Grundrechte der Bürger und damit unverhältnismäßig.
Leser*innenkommentare
André B.
Gast
@atypixx:
Es gibt - und es ist auch in Zukunft keines vorgesehen - kein Kontrollorgan für diese Listen.
D.h. jeder kann zu jeder Zeit aus irgendeinem vorhgeschobenen Grund auf diesen Listen landen - ohne Kontrolle oder Einsicht durch eine interessensneutrale Aufsicht.
Gleichwohl ist auch nicht geregelt, was noch so alles mit den Daten passieren könnte - und welche ausländischen Geheimdienste (o.a. Organisationen) sich da mal eben bedienen dürfen.
... davon ab ist das so ziemlich das Lächerlichste, seit dem Aufdruck "Hot Content" auf Kaffee-Bechern gewisser Fast Food Ketten. Nutzlos, wirkungslos, lächerlich.
Blanker Aktionismus von einer Tussi, die einen Computer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht einmal selber einschalten, geschweige denn bedienen - oder gar das Internet "benutzen" - kann. Dafür hat sie ja Sekretäre/Innen und Papis Butler.
Siehe:
http://www.rettedeinefreiheit.de/
MarlboroMan
Gast
Hätte auch nie im Leben gedacht, dass ein Präsident wirklich von seinem Veto Gebrauch machen würde. Aber Siehe da, vielleicht steckt irgendwo doch noch ein Mensch mit ein wenig verstand.
Es müssen sich ja noch nichtmal die Adressen ändern, Proxyseiten dürften ja schon reichen, um die Sperre zu umgehen.
Ragism
Gast
Wer hätte gedacht, daß unser betulicher Märchenonkelpräsident auch mal eine politische Handlung zustande bringt? Und dazu noch eine so vernünftige! Normalerweise ist dieses eigentlich so wichtige Amt von charakterlosen Ja-Sagern besetzt, welche den Bundestag schon machen lassen.
Meine überraschte Anerkennung an Herrn Köhler!
DuschLampe
Gast
Man sollte das Übel an der Wurzel packen und nicht nur ein Schild vor hängen!
So machen die Kinderpornomacher nur eine neue Adresse auf, aber sie werden nicht geschnappt!
Somit dient dieses Gesetz nur dazu, Anderen die eventuell brisante Informationen suchen (bs.: Verschwörungstheorien), dies zu erschweren.
atypixx
Gast
Fühlt sich eigentlich irgendjemand wirklich in seiner Freiheit beschnitten, wenn auf Kinderpornographie-Seiten alberne Stopp-Schilder auftauchen? Oder besteht die einzige Sorge der Gegner darin, dass diese "Schilder" immer weiter ausgedehnt werden (z.B. auch auf bestimmte politische Inhalte)?
K. Mann
Gast
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass bundesdeutsche Politiker auch mit unlauteren Mitteln beeinflussen wollen, was veröffentlicht wird und was nicht, Roland Koch hat es im Fall Nikolaus Brender beweisen!
Und darum sollte man diesen Politiker wirklich kein Zensurinstrument in die Hand geben, zumal mehrfach bewiesen wurde, dass "Löschen statt Sperren" funktioniert. Und nein "Löschen" ist keine Zensur. Denn das bekommt der Betreiber der Webseite mit und es steht im der Rechtsweg offen. Die Sperren sind ein eine Geheimaktion.
Ulrich Bogun
Gast
> Offen ist jetzt laut Experten, die der Spiegel zitiert, ob ein Gesetz einfach nicht angewendet werden kann.
So der wohl häufiger von einer Presseagentur abgetippte Satz. Aber, bitte: Was bedeutet das?