VBB-Chef mit bahnbrechender Idee: S-Bahn soll die Kurve kratzen

Der Chef des Verkehrsverbunds fordert Ausschreibung des S-Bahn-Netzes ab 2017 - der Senat lässt dies grade prüfen. Entscheidung soll im kommenden Jahr fallen.

Berliner S-Bahn auf einer Werkstattfahrt Bild: dpa

Die S-Bahn muss auf den Kopf gestellt werden, damit sie wieder in die Spur kommt: Der Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB), Hans-Werner Franz, stellte am Mittwoch seine persönliche Denkschrift zur Zukunft der Berliner S-Bahn vor. Darin fordert er eine grundlegende strukturelle Veränderung des Berliner S-Bahnbetriebs. "Im Vordergrund muss die Qualität und Funktion des Systems stehen", mahnte Franz. Er schlug vor, potenzielle Betreiber des Schienennahverkehrs im offenen Wettbewerb zu ermitteln. Die Entscheidung darüber müsste so schnell wie möglich fallen. "Wenn es heute schon klar wäre - umso besser." Innerhalb der ersten Monate des Jahres 2010 müsste die Zukunft der S-Bahn aber entschieden sein.

Der Vertrag zwischen dem Berliner Senat und der Deutschen Bahn AG, dem Mutterkonzern der S-Bahn Berlin GmbH, endet 2017. Seit Anfang des Jahres hatten sich bei der S-Bahn die Zwischenfälle aufgrund technischer Mängel gehäuft: Im Januar fielen über 2.500 Zugfahrten durch Frostschäden aus, im Mai entgleiste infolge eines Radbruchs ein S-Bahnwagen in Kaulsdorf. Untersuchungen durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) ergaben, dass Kontrollfristen nicht eingehalten worden waren, ein Drittel aller Zügewurde aus dem Verkehr gezogen. Anfang September legten fehlerhafte Bremsen erneut einen Großteil der Zugflotte lahm. Mittlerweile stehen laut der Bahn wieder 95 Prozent der Waggons zur Verfügung.

Franz benannte in seiner Denkschrift, die keine offizielle Stellungnahme des VBB darstellt, mehrere Gründe für das Chaos: Der geplante Börsengang der Deutschen Bahn AG habe zu Renditedruck und somit einem extremen Sparkurs geführt. Durch die Schließung von Werkstätten und Personalabbau sei es zu den zahlreichen Störfällen in diesem Jahr gekommen. "Wenn man sein Haus nicht saniert, geht das über Jahre gut. Aber irgendwann regnet es durch."

Eine weitere Ursache sieht der VBB-Chef in der Monopolstellung der S-Bahn: mangelnde Einflussmöglichkeiten durch die öffentliche Hand und ein fehlendes Korrektiv, wie es in einem Wettbewerb üblich gewesen wäre. Daher empfiehlt Franz nach dem Vertragsende 2017 auch keine Direktvergabe an einen Betreiber mehr, sondern fordert eine Ausschreibung.

Dabei bieten sich laut Franz zwei Varianten an: "Entweder kaufen die Länder die Züge und schreiben einen Wettbewerb um die Verkehrsleitung aus", erklärt Franz. Sie hätten dann direkten Einfluss auf die Fahrzeuge, müssten sich aber auch um deren Unterhaltung kümmern. "Oder es gibt einen Wettbewerb, indem sowohl der Besitz als auch der Betrieb der Wagen ausgeschrieben werden." Im "klassischen" Wettbewerb könnten mehrere Teilnetze von verschiedenen Anbietern befahren werden: "Bei mehreren Betreibern ist man weniger abhängig. Wenn es bei einem Störfälle gibt, hätte das keinen Totalausfall zur Folge", fasst der VBB-Chef zusammen.

Im Senat denkt man in eine ähnliche Richtung. "Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen", sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Manuela Damianakis. Denkbar seien eine Ausschreibung, eine Teilausschreibung oder eine Rekommunalisierung. Letzteres würde bedeuten, dass das Land "richtig viel Geld in die Hand nehmen" müsste, so die Sprecherin. "Daher prüfen wir gründlich und setzen uns keinen Termin." Im Laufe des kommenden Jahres dürfte die Entscheidung aber fallen. Derzeit verhandelt der Senat mit der S-Bahn die laufenden Verträge nach. Die Gespräche liefen "ordentlich", sagte Damianakis.

Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Claudia Hämmerling, stärkte dem VBB-Chef den Rücken. "Die Weichen müssen jetzt gestellt werden", sagte sie der taz. Die wiederkehrenden Drohungen von Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) reichten nicht aus. "Die S-Bahn versteht nur ein Ultimatum", so Hämmerling. Bei einer Ausschreibung, in der nur der Betrieb vergeben wird, "müsste man erst einmal investieren, aber das kriegt das Land ja wieder rein, weil es weniger Subventionen zahlen muss."

Bei der S-Bahn äußerte man sich zurückhaltend. "Es gibt von uns nur eine Aussage zur Denkschrift von Herrn Franz", erklärte ein Sprecher: "Wir erfüllen unseren Vertrag."

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