Kolumne Laufen: Wo ist der Samba hin?

Ein enttäuschender Weihnachtsbesuch in der Läuferhauptstadt Wien.

Zum gerade vergangenen Jahresende waren wieder tausende Läuferinnen und Läufer auf den Beinen. Silvesterläufe finden in fast jedem Dorf statt. Der berühmteste Silvesterlauf ist der in São Paulo. Brasilien, Sonne, Samba. Einfach herrlich. Leider habe ich das in São Paulo nie erleben können. Meist lief ich in heimischen Gefilden. Isny im Allgäu, Bietigheim oder Weil im Dorf. Aber auch dort ist immer Samba, denn es gilt: Überall wo Läufer sind, ist Samba. Um den Jahreswechsel 2008/2009 reiste nach Wien. Wien ist in Sachen Laufen und Samba dem Rest Europas weit voraus. Diese Stadt ist ein Seismograf der Laufszene.

Als wir noch in Baumwolle im Wald umherhirschten, da trugen die Österreicher die ersten eng anliegenden Laufhosen. Als ich in Deutschland noch einsam über die Schwäbische Alb trabte und mir Beschimpfungen anhören musste, da liefen in Wien auf der Hauptallee im Prater schon tausende von Menschen. Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, es gab in Wien keine Stunde des Tages, in der nicht gelaufen wurde. Morgens um 6 Uhr: Hunderte. Mittags um 12: Tausende. Und abends um 18 Uhr: keine Millionen, aber Horden. Sie liefen die vier Kilometer lange Straße zum Lusthaus hin und wieder zurück. Was dazu führte, dass die Hauptallee im Prater ganz vom Straßenverkehr befreit wurde. Sogar der Busverkehr wurde eingestellt. Ein ganzes Wohnviertel wurde damit vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten. Zum Wohle der Läufer. Paradiesische Zustände also in Wien: Laufen rund um die Uhr, bei Flutlicht und ohne Straßenverkehr.

Meine Chronologie in diesem Jahr: 23. 12. 09, 17.30 Uhr, Primetime: Laufen auf der Hauptallee. Wie ein kleines Kind freute ich mich und wollte mich unter all die tausende Freizeitläufer mischen. Doch dann die Ernüchterung. Nur vereinzelte Läufer, beleuchtet zwar und ohne Verkehr, aber weniger als hundert. Ich trabte ziel- und lustlos die Hauptallee auf und ab und kehrte mit der Erkenntnis zurück: Es muss an den Weihnachtseinkäufen liegen.

24. 12. 09, 11.30 Uhr, High noon der Laufszene: Wieder ein Lauf auf der Hauptallee. Fünfzig! Mehr habe ich nicht gezählt. Auf vier Kilometer Länge!

25. 12. 09: 12.00 Uhr: Ich zählte zehn! Wahnsinn. Für mich stand fest, der Laufboom ist zu Ende. Bald wird es keine Marathons mehr geben, keine Lauftreffs, kein São Paulo und kein Samba. 26. 12. 09: Dann eben Skifahren. In Semmering, Österreich, der Skination Nr. 1. Kein Mensch! Wirklich, kein Mensch auf der Piste. Ein Läufer, mich (Ski fahrend natürlich), das war's.

Weihnachten war ohnehin eine herbe Enttäuschung. Mit meinen Kindern handelte ich ein gemeinsames Geschenk aus. Wir schenkten uns einen Fernseher. "Aber wirklich nur einen Fernseher und dann aus die Maus", sagte ich. Unter Baum lag dann doch noch ein zweiter großer Karton. Mit großen Buchstaben standen die Namen meiner Kinder darauf. "Ich habe meinem Bruder eine halbe WII Sports geschenkt", sagte meine Tochter. "Und ich ihr die andere Hälfte", meinte mein Sohn. Eine WII Sports, ohne mein Wissen. Die Autorität des Bewegungsexperten wurde total unterwandert. Jetzt stehen die zwei vor dem Gerät und spielen Tennis im Wohnzimmer. Sie boxen oder - noch schlimmer - sie laufen auf der Stelle.

Voller Enttäuschung ging ich am 27. 12. 09 laufen. Auf der Hauptallee in Wien. Ich lief ganz allein. Kein Mensch war unterwegs. Wahrscheinlich spielen alle vor der WII Sports oder sind in São Paulo. Die Welt geht dem Ende zu.

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