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Archiv-Artikel

Ein raunendes Spektakel

THEATERHÖLLE Mit blutigen Händen näht Lady Macbeth im Gorki Theater Bilder aneinander, quer durch die Diktaturen der letzten 100 Jahre. Shakespeares Drama vom König, der durch Mord an die Macht will, wird zur Allegorie in der Regie von Robert Borgmann

Man fragt sich, wie solche Leute überhaupt irgendetwas organisiert kriegen

VON ESTHER SLEVOGT

Das kann man natürlich so machen: die Geschichte von Macbeth, der sich mit Hilfe seiner mörderischen Lady an die Macht mordet, bis er dort wieder weggemordet wird, einmal als Allegorie über die diversen Versuche der Menschheit zu lesen, die Geschichte in ihrem Verlauf zu beeinflussen.

Besonders der Marxismus hat ja, auf der Basis von Hegels Dialektik, dereinst Gesetze entdeckt, die es ermöglichen sollten, in den Geschichtsverlauf einzugreifen. Leute wie Stalin und Konsorten verhielten sich mit Berufung auf Marx und Lenin dann allerdings beim korrigierenden Eingriff in den Verlauf der Geschichte auch nicht wesentlich subtiler als Macbeth und mordeten weg, was ihren Zielen im Wege war. Von Hitler ist Ähnliches überliefert. In jüngster Zeit haben besonders arabische Potentaten sich als eifrige Schüler Macbeths erwiesen. So, wie dann auch ihr Ende dem von Shakespeares blutrünstigem Helden nicht unähnlich war.

Gaddafi grinst uns an

So sehen wir auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters eine Frau an einer alten Nähmaschine sitzen, ganz rechts an der Rampe, den Rücken zum Publikum. Sie näht. Eine Kamera projiziert ihre Hände auf eine Leinwand links von der Bühne: Es sind blutige Hände und Zeitungsbilder, die sie ratternd mit der alten Maschine aneinanderreiht. Bilder von Diktatoren, Soldaten und Politikern, quer durch das fatale 20. Jahrhundert hindurch. Man sieht Stalin, Churchill, Papst Johannes Paul II. oder Soldaten mit Gasmasken. Irgendwann grinst Gaddafi auf der Höhe seiner Macht uns an.

Auch unter das Personal auf der Bühne hat Robert Borgmann, der Regisseur der Inszenierung, eindeutig andere Figuren als in Shakespeares Original geschummelt. Das ein oder andere historisch verbürgte Mordopfer taucht auf: der alte Trotzki zum Beispiel, der noch an einem Schreibtisch sein Testament verfasst, als die Spitzhacke auf ihn niedergeht.

Das Originaldrama wird natürlich auch gespielt. Ein bisschen zumindest. Am Anfang sitzt Lady Macbeth in einem geometrischen Körper, der dem Dürer-Polyeder auf dem berühmten Stich „Melancholia I“ nachempfunden ist. Der ist auch im Programmheft abgedruckt. Achtung: Geheimwissenschaft fürchtet man gleich.

Und wirklich, um Geheimwissenschaft handelt es sich weitgehend an diesem assoziativ vorgehenden Abend, der keine Anstalten macht, seine Bilder zu erläutern oder herzuleiten. Da werden quer durch die Philosophiegeschichte Dichter und Denker zitiert. Gesungen wird auch, Brecht/Eislers „Wiegenlieder für Arbeitermütter“, Bach, die DAF-Hymne „Tanz den Adolf Hitler“: Zu Letzterer liefert Marek Harloff einen zuckenden 1980er Ska-Tanz ab, der sämtliche totalitären Gesten des letzten Jahrhunderts zitiert. Ein andermal erklimmt Harloff Kirchenbänke, um Kants Definition des Begriffs „Aufklärung“ zu skandieren.

Genau, Aufklärung! Das wär’s gewesen. Nicht dieses raunende Spektakel, das sich unter Zuhilfenahme großer Mengen von Bühnennebel immer mehr ins Kryptologische verkriecht.

Die dreistündige Aufführung suhlt sich förmlich in Bildern von Blut und Wahn. Mit irrem Blick säuselt die blutige Lady am Anfang einen Text von Mord und Sehnsucht, der eher nach Baudelaire als nach Shakespeare klingt. Alsbald tauchen allerhand Typen auf, die so durchgeknallte Macken von unkontrolliertem Zucken bis zu unkontrolliertem Speichelfluss aufzuweisen haben, dass man sich schnell fragt, ob man nicht einen Notarzt rufen sollte. Und wie solche Leute überhaupt irgendetwas organisiert kriegen. Geschweige denn so große Dinge wie die Macht in einem Staat. Und darum geht es hier doch unter anderem auch.

Den Macbeth spielt der junge Schauspieler Albrecht Abraham Schuch, der jüngst in Detlef Bucks Daniel-Kehlmann-Verfilmung „Die Vermessung der Welt“ als genialischer Alexander von Humboldt durch den Dschungel stapfte. Hier nun stürzt er sich mit ebenso großer Spielfreude in alle möglichen Vorkommensweisen von Wahn, Wut und Irrsinn.

Damit es für den Zuschauer auch wirklich kein Entkommen aus dieser Theaterhölle gibt, grinst Macbeths Gesicht auch noch von der Decke hinab: Denn die verwandelt eine Videoprojektion in einen enormen See, in dem Macbeth immer mal wieder blubbernd untergeht.

■ Gorki Theater, Macbeth, wieder am 23. 2., 19.30 Uhr